Wie Bimbaldi und Yvanella 3001 wurden
Yvonne Volkart
Ort: verschiedene Örter in Zürich
Zeit: Wende zum 4. Jahrtausend
Weibliche Personen: Bimbaldi, Technowissenschaftlerin; Yvanella, Hellseherin
Männliche Personen: namenloser Fahrradkurier, namenloser Gehbehinderter
e-mail von Bimbaldi an Yvanella:
Liebes Yvanella, bin lustmässig so da wie noch nie, und oh weh, ich habe heute Morgen beim Zähneputzen die Hälfte meines Büsten-Doppelstecker
verloren! Stell Dir vor, ich treff meine Liebe der nächsten Jahrtausende, und aus technischen Gründen kann nichts fliessen, shit! Exchange von
einer Brust zu zweien ist viel zu einseitig. Ich nehm an, der Schwarzmarkt hat meinen Stecker schon geschluckt. Was für eine Ichkrise: 50
Prozent meines geliebten Love-Acteurs stecken als Fremdarbeiter an irgendeinem Scheiss-Nobody!!!! Yvanella, hochgeschätzte Präzisionsseherin,
kann mir dein stählerner Milleniumsblick nicht verraten, wo mein Büsten-Doppelstecker geblieben ist? Dr. Bimbaldi
e-mail von Yvanella an Bimbaldi:
Lieber Bimbaldi, fürchte dich nicht, er ist nicht fremdgegangen. Tatsächlich liegt er abgewrackt in der Scheisse von Zürich. Don't worry, das
kann auch den Besten von uns mal passieren. Gut, dass du bei mir Rat suchst. Ich kann dich sofort mit einem neuen Modell mit integriertem
Feedbackloop versorgen und schick es dir per Fahrradkurier. Dein Yvanella
Bimbaldi, kreischt entzückt: Oh ja!
Alles wäre supergut gelaufen, wenn nur nicht dieser Fahrradkurier versagt hätte. Grünspass war hinter ihm her, weil der Stecker aus
künstlichem Elfenbein, die Heim-Polizei, weil er nicht Toaster-kompatibel war. Und die Schweiz als letzter wildlebender Nationalstaat
verfolgte ihn eigentlich grundsätzlich immer. Kein Stein im Weg auf den verschlungenen Pfaden Zürichs, und trotzdem wurde der Trottel
plattgewalzt. Der Stecker überlebte.
Bimbaldi wartete und wartete. Yvanella aber sah das Unheil und stapfte mit Riesenschritten zur Katastrophenstelle. Sie holte den Stecker raus
und brachte ihn höchstpersönlich zum sehnsüchtig-frustrierten Bimbaldi, der sich ausserstande sah, den Stecker überhaupt noch montieren zu
können. Schon wieder war Yvanella der Retter in der Not. Doch aus der trockenen Handwerksübung wurde schliesslich reinster Doppelspass. Denn
folgendes trug sich zu:
Um die angeschlagenen Nerven zu beruhigen wechselten die beiden Ladies erstmal die Location und genehmigten sich in der Bar zum "Attraktiven
Sexismus" im k3ooo einen harten Drink. Sie schauten sich tief in die Linsen und realisierten dabei, wie schön sie eigentlich waren - wie
füreinander gebaut. Dann packte Yvanella seinen Montagekoffer aus.
Yvanella, hastig den Screwdriver hinunterkippend: Keine Angst süsser Bimbaldi, gleich wird dir dein Doppelstecker wieder Doppelspass bereiten
können.
Mit dem neuen Doppelstecker in der schlanken Hand näherte Yvanella sich Bimbaldis Brustmulde. Noch bevor sie diesen richtig hineinsetzen
konnte, passierte es: die platte Brustfläche verwandelte sich in ein noch nie dagewesenes Land. Die ganze Oberfläche kräuselte und wölbte
sich, Zellen rissen auf, der starke Atem der Arterien wehte, grünes Licht über allem. Die unerwartete Energie dieser Nicht-Brust umschloss
Yvanella und Bimbaldi total. Irgendwie implodierte in diesem Moment einfach alles. Ein Gefühl, nach dem sie lange, lange gesucht hatten, war
jetzt endlich bei ihnen angekommen - und das ohne vollständigen Büstenstecker! Aber trotz nie dagewesener Lust hatten die beiden immer noch
nicht genug. Mit flinken Fingern dockten sie den kostbaren Kunstelfenbein-Doppelstecker an die leere Brustmulde - und sofort schrieen, wälzten
und zerflossen sie unendlich in milleniumsträchtigen Amöbensimulationen. Und so - in der magisch-mythischen Verklärung der absoluten
Nulllust - wurden Bimbaldi und Yvanella eins und 3000.
Aber sie waren nicht allein. Ein Gehbehinderter, der auf seinem Balkon durch einen Infrarot-Feldstecher in der Gegend herumgaffte, hatte sie
ins Visier genommen und kam zum einsamen Schluss: Doppelstecker an den Brüsten sind unbeschreiblich weiblich. Und was dahinter, neben oder
zwischen denen steckte, war auch ganz schön brauchbar. Hätter er genug Geld gehabt, er hätte seinen Körper zu einem weiblichen umbauen
lassen.
Verdammt, das Milleniumsende rückte näher, und nur Bimbaldi und Yvanella schienen 3001 gerüstet. Und wenn auch nicht: Sie, die 3001, wussten
es trotzdem besser: Der Bug konnte ihnen nichts anhaben, ihnen nicht.
Yvonne Volkart und Gaby Baldinger, Zürich, August 1999
Geschrieben für Starship, Dez.1999/Januar 2000 in der Sektion Manifeste für das Jahr 2000.