Claudia Reiche


Anatomie eines UFOs

Zum obszönen Bildkörper des "Visible HumanTM"

Öffnungen
UFOs, sogenannte "Unidentified Flying Objects" gehen auf Beobachtungen und Aufzeichnungen zurück, an denen keine Identifikation durchgeführt werden konnte. Die Annahme, daß hierbei Phänomene extraterrestrischer Herkunft ursächlich gewesen sein werden, wird gängigerweise favorisiert. Der hiermit gemachten Unterstellung, daß irdische Phänomene sich durch ihre Identifizierbarkeit auszeichnen müßten, soll in diesen Ausführungen nicht gefolgt werden: Stattdessen wird die Eigenschaft: "Nicht-Identifizierung" fokussiert.
Unter der Voraussetzung allerdings, daß UFOs tatsächlich Spuren lebender Wesen gewesen sein werden, ergeben sich Fragen - insbesondere nach der körperlichen Beschaffenheit, der Anatomie eines UFOs. Da hinsichtlich dieser spezifischen Objekte eine Ununterscheidbarkeit zwischen einer Lebensform und technologischen Entäußerungen derselben evident ist, müssen unbekannte Relationen angenommen werden. (1) Fragen nach diesen Relationen stellen sich typischerweise bei der Auswertung bildlicher Materialien. Auf dieser Grundlage soll im folgenden das Wagnis einer ebenso medientheoretischen wie medizinischen Betrachtung eines solchen nicht Identifizierten unternommen werden.  Daß "unbekannte Relationen" auf dem Gebiet medizinischer bildgebender Verfahren bereits als Problem bekannt sind und der humanmedizinischen Deutung heikle Aufgaben gestellt haben werden, belegen folgende Hinweise:

"Ein weiteres Problem aller bildgebenden Verfahren: Was die Bilder genau zeigen, müssen selbst Mediziner mühsam lernen. Vor allem neue Techniken wie die Magnetresonanz-Tomographie in den achtziger Jahren, verursachen zu Anfang erhebliche Interpretatationsprobleme. So leuchten auf den Bildern plötzlich nie zuvor gesehene Strukturen auf, sogenannte UBOs ("Unidentified Bright Objects"). Außerdem erzeugen computergestützte Bildgeber Artefakte - Bildanteile, die keinem Körperteil entsprechen. Als Ursachen haben die Mediziner schon Fehleinstellung von Geräten, Bewegungen des Patienten, Zahnfüllungen, aber auch Lidschatten und Tätowierungen identifiziert." (2)
Uns haben in diesem Zusammenhang nur die unidentifizierten Objekte zu interessieren. Sie sind hell und erscheinen, wie es die Quelle andeutet, in den Anfangszeiten neuer bildgebender Technologien. Weiterhin kennzeichnend ist, daß sie etwas "nie zuvor Gesehenes" zu sehen geben. Diese Merkmale treffen nun - bei näherem Zusehen - nicht nur auf die "nie zuvor gesehenen Strukturen" innerhalb der Bilder zu, sondern können strenggenommen für diese Bilder zur Gänze in Anspruch genommen werden. Das Phänomen der UBOs kann insofern als Anzeiger für ein grundlegendes Dilemma der Bilddeutung geltend gemacht werden: wie ist mit bildlichen Zeichen umzugehen, die in der Anfangsphase neuer bildgenerierender Technologien den Augen zum ersten Mal zugänglich werden? Sie mit den gleichen Verfahren deuten zu wollen, wie es die jeweils frühere Medientechnik die Erfahrung gelehrt haben, hieße sie fehlzudeuten. So kann ein UBO eines Magnetresonanz-Bildes nicht wie einst ein "Schatten" in einer Röntgenphotographie gelesen werden. Röntgenphotographie und Magnetresonanz-Tomographie verhalten sich heute beim Auftauchen unidentifizierter Objekte "unbekannt" zueinander. Wie dunkle und helle Bild-Flecken verschiedener Herkunft? Wie analoge und computerbasierte Bildtechnologien? Oder wie die verschiebbaren Werte 0 und 1 der digitalen Differenz?

Hier Unterscheidungsmöglichkeiten zur Diskussion und in Frage zu stellen - dem möchte sich dieser Text widmen, indem ein "unidentifiziertes Objekt", das in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht hat, exemplarisch analysiert wird: die Bildlichkeit des "Visible Human ProjectTM". Wie hier die "unbekannten Relationen" am Beispiel menschlicher Anatomie sich als im spezifischen Wortsinn "obszöne" darstellen, sei im Folgenden entwickelt.

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Riskant erscheint die Beschäftigung mit Konzept und Bildmaterial des "Visible Human". Denn viel wurde vorbereitend angekündigt: Nichts weniger als das Zeigen von Bildern eines "neuen", eines "Daten"-Menschen. Wer nach solcher Vorbereitung sich Ziffernfolgen, Diagramme, Graphiken vor dem inneren Auge aufriefe, könnte von der tatsächlichen Konkretion "bildlich" - eindringend, das "Bildliche" durchdringend - erschreckt worden sein.
 
Bereits in der Planungsphase dieses Projekts der National Library of Medicine (U.S.) wurde dieser "sichtbare Mensch" in knappe Worte gefaßt, die das Projekt zu der "first digital description of an entire human being" (3) erklärten. "Ein ganzer Mensch", so lautet konkret der Anspruch, wird erstmalig auf digitaler Basis zum "sichtbaren Menschen". (4)
Um beschreiben zu können, wie Traditionen medialer Repräsentation beim "Visible Human Projekt" aufgegriffen und bearbeitet werden, sei vorangestellt, was der digitale "Visible Human", entsprechend seiner massiven (populär)wissenschaftlichen Rezeption (5) nicht sei. Tatsächlich lassen sich einige wenige wiederkehrende Bestimmungen ausmachen.

Der "Visible Human" ist keine Bildlichkeit, die je zuvor gesehen werden konnte.
Der "Visible Human" ist keine Erfindung.
Der "Visible Human" ist nicht sterblich.

Dies sind Eröffnungen, die in verschiedener Formulierung in fast jeder Berichterstattung über das "Visible Human ProjectTM" auftauchen. Es ist die Figur der Negation, die verschiedene Möglichkeiten innehat. Wie hinter einem Schleier zeichnen sich Formen in der mehrdeutigen Textur der Negation ab. "Etwas noch nie Gesehenes": das kann heißen, es handelt sich um neue Bildinhalte oder es meint eine unbekannte Repräsentationsweise - nach den "Bildern". "Keine Erfindung": Das kann heißen, es ist eine wissenschaftlich objektive Darstellung oder ein "wahres" Bild. Etwas "Unsterbliches": hat entweder nie gelebt oder lebt ewig.

Hier gibt es unterschiedliche, zwischen den Bedeutungen taumelnde Varianten, die mehr oder weniger spektakulär und suggestiv verfahren. Eine beispielhafte Formulierung bietet folgende Überschrift im populärwissenschaftlichen Magazin P.M. zum "Visible Human Project": "Die phantastische Schöpfung des ersten (echten) digitalen Menschens" (6) . Mit einer euphorischen Unentschiedenheit über Gegenstand oder Repräsentation selbst, werden jeweils im Namen eines skandalös "Neuen" "Echtheit" und "Leben" in Bewegung versetzt - und in verschiedenen Anwendungen zur interaktiven Exploration und Manipulation angeboten.

Entschuldigen muß ich, daß nach dieser flüchtigen Kategorisierung dessen, was auf der Ebene der journalistischen und wissenschaftlichen "Fakten" unter der Bezeichnung "Visible Human ProjectTM" geführt wird, noch ein Umweg vorgesehen ist. Zunächst erscheint es noch notwendig, etwas drumherum zu reden, wie bei einer obszönen Enthüllung. Etwas Obszönes - im Wortsinn "ob-scenus" - vor, gegenüber oder außerhalb der Szene. (im Sinne von scaena, lateinisch Bühne). Und als solches, als "ob scaena", kann das "Visible Human Project" gedacht werden. Dazu scheint nötig, erst einmal eine Szene, eine Bühne aufzubauen, um zu einer möglichen Darstellung zu kommen.
Denn alle genannten Anzeichen sprechen dafür, daß es um die schwierige Darstellung eines Unbekannten geht. Darum lautet meine Eröffnung, noch im Dunklen bei geschlossenem Vorhang: Das "Visible Human Project" schreibt eine neue Geschichte der Abbildung - als digitale Transformation des "Bildes". Die nötige Szene - und eine mögliche visuelle Vorgeschichte des "Visible Human" soll im folgenden anhand einiger heterogener Bruchstücke aus Hollywoodfilmen, Musikvideos und medizinischer Visualisierung konstruiert werden:

Vorbilder
Im Film der Walt Disney Pictures "Tron" (U.S. 1982, Regie Steven Lisberger) ist es zukünftigen Wissenschaftlern möglich Objekte in der Weise zu digitalisieren, daß sie aus der materiellen Welt verschwinden und nur noch in digitaler Form existieren. Auch eine Rückverwandlung in die materielle Form ist möglich. Verbildlicht wird eine solche "Matter Transform Sequence" zunächst am Beispiel einer Orange. Diese wird in "ihre Information" verwandelt, im Computer geladen und auch wieder "ausgespeichert", d.h. in die ursprüngliche materielle Form zurückverwandelt. Eine Laserkanone scannt und absorbiert die Molekülstruktur eines Objekts, und zwar im zweiten Schritt die eines lebenden Menschen, dessen folgende Abenteuer als "transformierte Materie" den Stoff der Filmhandlung ergeben. Als Informationsmuster in menschlicher Gestalt - wie eine Figur eines Computerspiels - existiert der Charakter weiter. Behauptet und visuell umgesetzt wird ein restloser Übergang eines Menschen "in den Computer". Dargestellt wird solche Digitalisierung des Helden in spektakulären Tricksequenzen als abstrakte Animation eines rasenden "Fluges" in die "Tiefen" des Computers hinein.
Sehr ähnlich verfahren andere kontinuierliche schnelle Bewegungen in die Tiefe von Bildern hinein: Vertraut sind die unzähligen Tunnelfahrten oder -flüge, wie sie computererzeugte Musikvideos der 90er Jahre repetetiv einsetzten.
Aufrufen möchte ich hierzu den Film "Fantastic Voyage" (U.S. 1966, Regie Richard Fleischer). Hier geht es um das Eindringen in den menschlichen Körper und darum, das zu überleben. Mit Computerhilfe miniaturisierte Wissenschaftler in einem U- Boot werden in die Blutbahn eines Patienten gespritzt, um ein Blutgerinsel im Gehirn zu behandeln. Die Rechenzentrale dieser Operation entspricht derjenigen eines Raketenabschusses. Im Vorspann werden die zukünftige Mondlandung und die Expedition ins Körperinnere visuell als Analogien dargestellt. "To make a motion picture that crosses a new frontier may seem impossible today. Not outer space nor the future - its into the body." (7) Beide Räume gelten in der Logik des Films als unenthüllte Reservoire von Sichtbarkeiten, die mithilfe von Computertechnologie erschlossen werden. Insofern ist die Durchdringung des "Outer" und des "Inner Space" in der Durchquerung der Körpergrenze von Außen und Innen und der Durchdringung der Dimensionen durchgeführt: das "natürliche" menschliche Maß erscheint als riesige höhlenartige Landschaft, die erkundet wird. Es verspricht die dynamische Kommentarstimme des Kino-Trailers von 1966 darum kaum zu viel: "You are going where no man or camera has ventured before." Was es mit diesem "You" auf sich hat, das wird allerdings zu einer Frage, denn: "And when you come out you may never look at yourself in the same way again."
Diese Vermutung könnte auch auf das Video "Professor Roentgen meets the virtual body" angewendet werden, 1995 vom Institut für Mathematik und Datenverarbeitung in der Medizin an der Universität Hamburg hergestellt. Ein Abschnitt trägt den Zwischentitel "Journey through cerebral vessels". Auf dieser wissenschaftlichen Reise durch die Blutgefäße des Gehirns, werden neuartige 3d-Bilder vorgestellt, wie sie z.B. aus Computertomogrammen berechnet werden. Die Perspektive einer Fahrt durch eine Arterie des Gehirns entspricht der, die bereits die miniaturisierten Wissenschaftler der "Fantastic Voyage" innehatten. Der Kommentar zu diesen Bildern formuliert solche fiktionale Betrachterperspektive folgendermaßen: "But we can also put ourselves onto the tip of a catheter and view the vessel from inside." und: "Its morphology may be accesed from any direction."

Jeweils wird ein Eindringen in einen unbekannten, "noch nie gesehenen" Raum inszeniert. Die Assoziation zur sexuellen Erkundung unbekannter Körper und Körperteile wird durch alte Beispiele des Genres "Herrenfilm" mit Titeln wie "Wonders of the Unseen World" (1927) befördert. (8) Waren es in diesen Fällen die weiblichen Genitalien, die die Wunder eines "noch nie Gesehenen" bieten sollten, so wäre es doch eine kurzschlüssige Identifizierung die erwähnten Tunnel-Perspektiven schlicht als männliche Penetrationsphantasien deuten zu wollen. Inwiefern jedoch "Weiblichkeit" als Problem der Repräsentation - der Identifizierbarkeit - mit den Wundern einer Welt im Computer und "hinter den Bildern" verknüpft wäre, dies stellt sich als berechtigte Frage. (9)

Vorerst kann jedoch als Subjekt der Darstellung in den aufgeführten Film- und Videobeispielen geltend gemacht werden, daß eine Grenze visuell inszeniert wird, die Grenze des Sichtbaren: als eine, die überschritten werden soll.
Für eine Grenzüberschreitung, bei der die Strecke des Sichtbaren nicht bloß verlängert, sondern ein Unsichtbares visuell konstruiert werden soll, spricht, daß ein ähnliches Motiv, in Verbindung mit einer typischen Bewegung persistiert. Es handelt sich jeweils um eine zentrale Bewegung des Kamerapunktes in die Tiefe des Bildes, wie in einen Tunnel hinein. Als hätte der Betrachter die Blick-Position eines "Fliegenden Objekts" inne, das sich in die Tiefe des eröffneten Bildes bewegt. Grundlage dieser Vorstöße in die vielen visuellen "Tunnel" sind jedesmal Computerberechnungen, sei es auf der Ebene der Spielfilm-Narration oder als medientechnische Basis der Bilderzeugung selbst.

Als ein weiteres gemeinsames Merkmal auf einer spekulativeren Ebene des Vergleichs kann die Feststellung gelten: In jedem der vier Beispiele "ging es um Leben und Tod", genauer: um die Grenze dazwischen. "Tron" inszenierte ein körperloses Weiterleben, "Fantastic Voyage" das Weiterleben mit einem fast verschwundenen Körper. Der Tunnel-Flug des Musikvideos, wie z.B. "Destination Planet Dream" (Laurent Garnier, 1994) kann als Bestandteil einer visuell unterstützten Ekstasetechnik gelten, die mithilfe der Bilder ein "Hinaustreten" aus dem normalen Bewußtseinszustand erreichen will, vielfach als Ablösung vom Körper visioniert. Die aktuelle wissenschaftliche Seite des persistierenden "Tunnel-Motivs" zeigt sich in "Professor Roentgen Meets the Virtual Body" mit erstaunlicher Ähnlichkeit zu dem computererzeugten Musikvideo an Visualisierungen von Organen eines lebenden Körpers. Das visuelle Eindringen in einen errechneten "Virtual Body" erlaubt aus potentiell allsehender Perspektive Einblicke in ein Körperinneres, wie sie auf dem Operationstisch oder im Seziersaal beim Eröffnen der Körper, selbst durch das Einführen endoskopischer Kameras nicht möglich wären.

Wäre es auch möglich zu sagen, die Bilder handelten jeweils von einer neuen "Szene", die im hypnotisierenden Sog der visuellen "Tunnel-Fahrten" oder "-Flüge" bedeutet werden soll: Auf- und Abgänge wie Geburt oder Tod? Deren vertrauteste Bildlichkeiten im Sinne der Darstellung eines Durch- oder Übergangs in ein "Anderes" sind nicht zufällig mit der Vorstellung eines "Tunnels" verbunden: Wer imaginiert durch einen "Geburtskanal" das "Licht der Welt erblickt" zu haben, mag sich auch die Erfahrung des nahenden Todes als Erblicken eines fernen, sich nähernden Lichts - als bildlichen "Tunnel" - gestalten. So sei die Behauptung angeschlossen, daß es in den vier gewählten visuellen Beispielen stets um eines ging: um Ob-szönitäten, Überschreitungen von Szenen - zu "anderen" Szenen. Um in Bewegungsbildern (vom Film bis zur Computeranimation) ein Außerhalb des Sichtbaren anzuzeigen, insbesondere um Auflösungen und Neubestimmungen von Bildern und Worten darstellbar zu machen, scheint ein symbolisches Durchstoßen der zweidimensionalen Bildebene - in eine vermeintliche Tiefe "hinein" - symptomatisch wiederzukehren. An Beispielen von Datenbearbeitungen des "Visible Human Project" läßt sich ein Zusammenhang zu den bereits aufgerufenen Bild- und Vorstellungselementen entfalten, - Unsicherheiten, Faszinationen und Verwechslungen, die sich beim Prozeß medialer Wandlung ergeben, insbesondere beim Übergang zum digitalen Medium.

Blick in den Mensch
"Der Arzt im Cyberspace, Blick in den Mensch",
CD-ROM Welt der Wunder 1, ProSieben MediaAG, 1996 Systhema Verlag GmbH München.

"A Digital Image Library"
Als technologisch vorauseilend muß der Plan der National Library of Medicine bezeichnet werden, in der Mitte der 80er Jahre bereits die Entwicklung einer Datenbank eingeleitet zu haben, die die analogen anatomischen Atlanten wenn noch nicht ersetzen, so doch bereits auf neue Art ergänzen soll. Daß diese organisatorische Basis des "Visible Human Project" zunächst unspektakulär eine direkte Übertragung der Funktionen analoger Medien vorsieht, kann kaum darüber hinwegtäuschen, daß hier eine Umstellung größten Ausmaßes initiiert wurde, die weit über den technischen Bereich hinauswirkt und eine umfassende kulturelle Umstellung betrifft. Die National Library of Medicine formuliert es so:
"The Visible Human Project has its roots in a 1986 long-range planning effort of the National Library of Medicine (NLM). It foresaw a coming era where NLM's bibliographic and factual database services would be complemented by libraries of digital images, distributed over high speed computer networks and by high capacity physical media. (...)Early in 1989, under the direction of the Board of Regents, an ad hoc planning panel was convened and made the following recommendation: íNLM should undertake a first project building a digital image library of volumetric data representing a complete, normal adult male and female. This Visible Human Project will include digitized photographic images from cryosectioning, digital images derived from computerized tomography and digital magnetic resonance images of cadavers.'" (10)

Zu fragen wäre hier mit Blick auf das "Bild" in einer solchen digitalen "Image Library": Welche neuen Eigenschaften haben diese "Bilder"? Wo hört das "Bild" auf und wo fängt der "Text" an? Oder: Sind das noch "Bilder", um die es hier geht?

Das Ziel der "Image Library", auf biomedizinischem Gebiet ein universelles und vereinheitlichtes neuartiges bildliches Wissen über den "Menschen" bereitzustellen, stellt als alte Forderung - spätestens seit der Renaissance - doch eine neue Aufgabe dar. Und zwar insofern dies "Wissen" über den "Menschen" - mit der Bezeichnung "Health Information" - in einem neuen Medienformat als Datenorganisation und -manipulation aufgefaßt wird. Dabei wird dem neuen digitalen "Abbild", eine größere Vollständigkeit, Nähe oder gar Identität zum "Abgebildeten" zugetraut: Identifizierbarkeit. Eine sprachliche und medientechnische Transformation größten Ausmaßes ist in dem so formulierten Projekt der National Library of Medicine angezeigt: nämlich des "Wissens", der "Worte", der "Bilder" und des "Menschen" selbst. Bezweifelt darf jedoch werden, ob die Implikationen solcher Transformation von den Auftraggebern mitgedacht worden sind.

"A complete, normal" image?
Denn spektakulärer als es die knappen, faktischen Beschreibungen suggerierten, hat nun das erste Projekt auf dem Weg zu einer solchen digitalen "Image Library" seinen Auftritt in der wissenschaftlichen und Medienöffentlichkeit genommen. Nämlich gerade dies ist das "Visible Human ProjectTM". Wie wurde vorgegangen?
Für diese neuartige Beschreibung des "sichtbaren Menschen" sollten zunächst Volumendaten eines "complete, normal adult" erfaßt werden, und zwar im wesentlichen durch digitalisierte photographische Querschnittsbilder menschlicher Leichen, ergänzt durch eine Anzahl computertomographischer und Magnetresonanz-Bilder. Das Erstaunliche und eigentlich Spektakuläre ist nun die Verwendung von Leichen und Photographie, um in das digitale Zeitalter des Bildes einzutreten. Das ist neu.
Wenn photographiert wird, muß das Innere des Körpers durch Messer, durch Aufschneiden sichtbar gemacht werden; Schicht für Schicht muß der Körper von Kopf bis zu den Füßen in immer neue Schnittflächen abgehobelt werden, Photo für Photo weitere Gewebeschichten freigelegt und zerstört werden, bis mit Beendigung der Bilderserie vom menschlichen Körper nur noch gefrorene Hobelspäne im Submillimeterbereich übrigbleiben.
Im Internet finden sich dazu Texte von Wissenschaftlern, die die photorealistische Erscheinung der Daten enthusiastisch als überwältigendes Erlebnis beschreiben, als einen Vorgang "revealing slice-by-slice the beauty and detail within" (11) . Ob ein derartiger Ausruf auch beim direkten Blick auf die Schnittflächen der Leiche ausgelöst worden wäre? Wohl nicht, da die Kommentare sich in technischen Details ergehen. Eine Überschreitung formuliert sich hier im Wechsel des sachlichen Tonfalls zu einem anderen Register.

Weiter zu den Fakten: An einer männlichen und einer weiblichen Leiche - "a complete, normal adult, male and female" - wurde diese Prozedur bereits durchgeführt. Als digitaler "Adam" und als digitale "Eva": als neue Menschen gefeiert, verkünden TV- und Printmedien bereits die im Computer gespeicherten einzelnen digitalisierten Photographien als Beginn einer neuen digitalen Ära des Menschen. Eine angeblich komplette Sichtbarkeit, die Idee einer Verfügbarkeit und Veränderbarkeit des Datenmaterials werden als Garanten für zukünftigen medizinischen Nutzen genommen. Die verarbeiteten Leichen, die "complete, normal adult(s) male and female", deren behauptete "Vollständigkeit" der Aufzeichnung sich stark unterscheidet, insofern die weibliche Leiche in dreimal dünnere Schichten geschnitten wurde, werden auf paradoxale Art als vollständige, normale "Bilder" rezipiert: "Bilder", die so vollständig wären, daß sie keine Bilder im herkömmlichen Sinne mehr sein könnten, sondern durch die als "normal" deklarierten Abgebildten ein neues Modell des "Menschen" darzustellen in der Lage sein sollen. Die Ironie eines derartigen Glaubens an die "Information" besteht nun darin, daß der einzige bildtechnische Vorteil materiell durchgeführter Schnitte bei der Datengewinnung in einer hochauflösenden Bildqualität mit einem "realistischen" Eindruck des Körperinneren durch die Photographie besteht. Denn im Gegensatz zu Röntgen-, Ultraschall oder Magnet-resonanz Verfahren werden so auch Farben aufgezeichnet. Datenmengen von bis zu 40 Gigabyte bestimmen diesen "neuen Menschen": bunte digitale Serienschnittphotographien.

Die materielle Basis des "Visible Human" bildet das faktische Zerschneiden einer Leiche, das- auch wenn es mit einer computergesteuerten Schnittanlage besorgt wird - die Datengewinnung im "Informationszeitalter" der Medizin am Beispiel materieller Zerstörung inszeniert, einer physischen Desintegration, die den Körper zu geringen Quantitäten organischer Reste der Bildflächen abbaut, die in Auffangbecken zu formlosen Materialhaufen schmelzen.

Anschaulichkeit
Jedoch - als Verschmelzung von Mensch und Computer, verbunden mit der Vorstellung, der Leichnam "lebte" entmaterialisiert als Datenmenge im Computer weiter, wurden bereits die ersten zweidimensionalen, als filmische Animation präsentierten Photoserien der digitalisierten Leichenschnitte in den Medien besprochen. (12) Eine Fetischisierung der Informationsmenge, die in immer wiederholten Mengen- und Maßangaben des Projekts in Erscheinung tritt, verstärkt das Phantasma einer restlosen, vollständigen Übertragung eines Menschen "in den Computer". Hier assoziiert sich als konsequente Komplettierung des Gedankens ein Motiv aus Science Fiction-Filmen, wie z.B. "Tron", nämlich zudem eine mögliche Rückkehr solcher phantasmatisch "vollständiger" Datensätze in die körperliche Form biologischer Existenz. Wird so die Identität eines Menschen als erfaßbare Information auf verschiedenen materiellen Trägern - gewissermaßen carbon- oder siliciumbasierten Speichermedien - imaginiert, so verschalten "Matter Transform Sequences" beliebig Zeiten, Räume, Leben und Tod. Ist so das Faszinosum, das diese neuartigen Bilder in der Narration vom getöteten und wiederbelebten Mörder zu besetzen scheinen zu erklären? Hier muß noch anderes im Spiel sein.
Vermeintlich anschaulich kann am "Visible Human Project" noch beschrieben und gezeigt werden, was in Worten und Bildern kaum vorstellbar zu machen ist: die Veränderungen des "Bildes",