Next Cyberfeminist International
Yvonne Volkart
8.-11. März 1999, Rotterdam (Kritik für Springerin, Wien 1999)
"Feminismus ist ein riesiges Mutterschiff mit vielen Decks, das durch den Raum gleitet. Auf jeder Ebene hat sich die
Bienenkönigin ihre Domäne mit ihren eigenen Dronen und Arbeiterinnen geschaffen. Gelegentlich interagieren die Decks, um ihren
Honig und ihr Gift auszutauschen, dann kehren die Fraktionen zu ihrem eigenen Volk zurück. Cyberfeminismus ist ein kleiner
Tropfen Gelee Royale, der durch die Ritzen des Mutterschiffs hindurchsickert. Er nimmt Teile von jedem Deck und vereinigt sie
zu etwas Tödlicherem und manchmal Süsserem als das Original. Cyberfeminismus ehrt die Bienenkönigin, dann macht er sich auf
den nächsten interplanetaren Austausch auf und schwirrt vom Mutterschiff ab in neues, unerforschtes Terrain."
Mit dieser Sentenz beantwortete ein Mitglied von Old Boys Network (OBN) die Frage, was Cyberfeminismus von Feminismus
unterscheide. (siehe: www.obn.org) Unter "Was ist Cyberfeminismus" heisst es: "Ein Feminismus natürlich, der sich auf digitale
Medien fokussiert." Oder: "CF ist eine upgedatete Feminismus-Version, welche sich neuen politischen Fragestellungen widmet,
die durch die globale Kultur und Mediengesellschaft aufgeworfen werden."
Der Begriff "Cyberfeminismus" hat schon manche Kritik auf den Plan gerufen. Verurteilt wird nebst der Skepsis, die man dem
Neologismus überhaupt und dem mythisierenden Präfix "cyber speziell entgegenbringt, dessen "Optimismus", sein "unspezifisches",
unintentionales Politikverständnis und seine "Technofixiertheit". Schaut man sich die Kritiken genauer an, so wird man gewahr,
dass diese unter Cyberfeminismus eigentlich nur gerade Sadie Plants Texte, insbesondere ihr 1997 erschienenes Buch "zeroes +
ones" sowie die Manifeste von VNS-Matrix meinen, einer seit mehr als zwei Jahren aufgelösten Künstlerinnengruppe aus Australien.
Seltener werden die Theoretikerinnen Rosi Braidotti, Donna Haraway und Sandy Stone genannt, oder die in wechselnden
Zusammensetzungen agierende Gruppe OBN, deren Ziel die Verbreitung und Akzeptanzschaffung des CF ist und zu der ich seit Herbst
1998 gehöre. OBN organisierte 1997 im Rahmen des Hybridworkspaces anlässlich der Documenta X in Kassel "The first Cyberfeminist
International", und dieses Frühjahr, vom 8.-11. März in Rotterdam, die zweite Tagung "Strategies of the New Cyberfeminism" -
ein Titel, mit dem man unter anderem diesen "alten" Cyberfeminismus zur Tür hinauskehren wollte.
Aber das Wort "Cyberfeminismus" hat auch etwas Magisches und Spielerisches, es ist anti-akademisch, selbst-gebastelt
und -selbstorganisiert und zieht dadurch die unterschiedlichsten Leute an: Terminologisch weder mit Post-Feminismus noch
Gender Studies verwandt, diffusiert CF inhaltlich ungeniert in diese Gefilde. Bis anhin hat der CF weder ein Programm mit
klar definierten politischen Ziele, noch ist er eine Gruppierung oder (aktivistische) Bewegung, die gegen einen gemeinsamen
Feind oder für bestimmte Forderungen aktiv wird, noch ist er eine funktionierende Netzwerkallianz. Der Cyberfeminismus ist -
und das hat auch die Konferenz bestätigt- hochgradig diffus (im Gegensatz zu konfus!), und darin liegt seine Schwäche und
Stärke in einem.
Dieser Vagheitsfaktor verweist auf eine mythische Struktur des Begriffs, dessen Anfänge im Dunkeln liegen respektive um den
sich gleich mehrere und immer wieder neue Erzählungen ranken. Sowohl Sadie Plant als auch VNS-Matrix behaupten, den Begriff
1992 unabhängig voneinander erfunden zu haben. Im World Wide Web verweisen rund 500 Links auf Cyberfeminismus. Man erfährt
von cyberfeministischen Konferenzen, gelangt zu Manifesten und Statements von Frauen, deren Namen man oft noch nie gehört hat.
Der CF ist heterogen und widersprüchlich, sein Gemeinsames kann am ehesten damit gefasst werden, dass er eine Art progressive
Form von Identitätspolitik im Zeichen von Hybridität/Monstrosität/Posthumanismus/Nomadismus ist, die davon ausgeht, dass
Technologien unser Sein verändern, auf welcher Seite der internationalen Arbeitsteilung man auch steht, und dass die sozialen
und ideologischen Funktionen und Implikationen dieser Technologien mutiert und subvertiert werden können.
Worin mir das Anliegen des Cyberfeminismus am nächsten steht und worin er sich auch am stärksten von jedem anderen Feminismus,
insbesondere aber vom dekonstruktiven Feminismus unterscheidet, ist unser Bestreben, das Moment der Lust, v.a. aber deren
Subversionskraft zu betonen und über die Dekonstruktion hinaus an der Konstruktion mythischer und utopischer Zwischen-Räume zu
arbeiten. Cyberfeminismus spielt mit dem Mythos Cyberspace und wird damit zu jenem "ironischen Mythos" (Haraway), kraft dem
ein paradoxer, a-topischer Ort, innerhalb phantasmatischer/patriarchaler Kolonisierungen nochmals ganz anders hervorgebracht
werden kann. In "Cyber-Jouissance. An Outline for a Politics of Pleasure" schreibt die Moskauer Cyberfeministin Irina
Aristarkhova, die im Rahmen der cyberfeministischen Sektion bei Next Five Minutes 3 in Amsterdam über russische
Netcommunities sprach: "Wir müssen nicht so sehr daran arbeiten, unser Begehren zu befreien, als vielmehr daran, neue Lüste
so suchen und zu kreieren, die uns einen Weg für unser Begehren und unsere neuen Selbsts weisen". Dass die cyberfeministischen
Theorien im französischen Poststrukturalismus und nicht im 70er Jahre-US-Feminismus gründen, wie Faith Wilding behauptet, zeigt
nicht nur Aristarkhovas Bezugnahme auf Michel Foucault und Luce Irigaray, sondern Irigarays Kurssteigerung bei vielen
Cyberfeministinnen überhaupt. Aristarkhova, die "Cyber-Jouissance" in erster Linie als Russin für Russinnen und gegen deren
"Tradition des Leidens" schrieb, eröffnet auch westlichen Feministinnen Wege, aus den in den letzten Jahren immer enger
geschnürten Negativitäts-Korsetts auszubrechen und zu sehen, dass die Lust auf eigene Räume nicht essentialistisch sein
muss: "Es gibt keine "Jouissance" ausserhalb des Politischen, obwohl sie nicht zu einer einzigen politischen Dimension
reduziert werden kann, und das ist ihre strategische Stärke. Zu behaupten, dass alle unsere Lüste vor-konstruiert sind,
heisst den Punkt der Produktivkraft und der Tatsache zu verpassen, dass sich immer zuerst Widerstand meldet."
In Rotterdam plädierte Caroline Bassett (UK) mit ihrem Vortrag "A Manifesto against Manifestos", der als eine differenzierte
Dekonstruktion von Sadie Plants "ahistorischer Technofixiertheit", "Essentialismus" bezüglich "Frauen" und "Fatalismus"
begann, letztlich für "die Idee der Utopie im Cyberfeminismus": "Das feministische Utopia wohnt nicht in aktuell
existierenden (virtuellen) Räumen, sondern es muss an den Nicht-Ort, die Nicht-Zeit des Möglichen, des Gewünschten,
Begehrten, Sich-Vorgestellten und Imaginierten verlegt werden." Dies würde eine engagierte Politik nicht ausschliessen,
sondern die Wünsche für die Zukunft über das Technologische hinaus im Hier und Jetzt verankern.
Wie schaut nun eine engagierte cyberfeministische Politik aus?
Obwohl ein ganzer Tag unter dem Motto "Women Hackers" (organisiert von Cornelia Sollfrank) stand, an dem auf höchst
vielfältige Weise Methoden und Strategien, die diversen Kontrollmechanismen des Informationszeitalters zu sichten und zu
knacken gezeigt wurden, und obwohl während der dritten Sektion mit dem Titel "Globalismus/Widerstand/Intervention" (org.
von Faith Wilding und mir) aktuelle Haltungen, Aktionen und Netzinterventionen vorgestellt wurden, wurde die Frage nicht
in der Ausführlichkeit diskutiert, wie das vom Konferenztitel "Strategies of the New CF" zu erwarten gewesen wäre. Plötzlich
fehlte die nötige Arbeitszeit vor lauter qualitatativ hochstehenden Vorträgen und die Konferenz konnte so nicht zu einem
öffentlichen Forum für die Entwicklung weiterer cyberfeministischer Strategien genutzt werden. Dieses Manko wirkte sich dann
auch negativ auf die Präsentation von OBN bei N5m3 in Amsterdam aus, in deren Rahmen natürlich handfeste Strategien erwartet
wurden. Tatsächlich besprechen wir jetzt nach der Konferenz diese Fragestellungen.
In der Sektion "Split Bodies and Fluid Gender: The Cutting Edge of Information Technology-- (between scientific and artistic
visions)" sprach deren Organisatorin, Claudia Reiche (Hamburg), unter anderem über ihre Eindrücke von einem Besuch an zwei
internationalen Medizinkonferenzen in San Diego 1998. Der Titel ihres Vortrags "Bio(r)Evolution¨. On the Contemporary
Military-Medical-Complex" spielte auf den Titel der einen Konferenz an, "Bio(r)Evolution®. NextMed: The End of Healthcare?
(Thought Health Immorality)", deren Schlagworte Dr. Rick Satava, der sowohl ein Spitzen-Militärchirurg als auch Chef eines
zivilen Krankenhauses ist, folgendermassen formulierte: "Die Zukunft des Gesundheitswesens ist Information", oder: "Der
Mensch besteht nicht mehr länger aus Blut und Eingeweiden, sondern aus Bits und Bytes." Das Schlagende von Reiches Vortrag,
in dem sie die Heilmethoden der "Schlachtfelder der Zukunft" erläuterte, bestand sowohl in der Dekonstruktion dieser
universalisierten Körperphantasmen eindeutig militärischen Ursprungs, als auch in der Enthüllung der totalen Involvierung
des Militärs in die zivile Medizin, die sich darüberhinaus ihr Geld über privates Firmensponsoring beschafft und mit Slogans
wie "Medizin ist Kunst" kulturellen Mehrwert verschafft. Der konstitutive Faktor von Kunst in der Legitimierung von
High-Tech-Fantasien und Möglichkeiten zur Suberversion waren dann das Thema meines Vortrags. Zusammenfassend lässt sich sagen,
dass die Tagung wirklich gute Vorträge und Diskussionen lieferte und vieles eröffnete. Schade fand ich wie gesagt, dass wir
die Diskussionen zu wenig dazu benutzten, unsere Involvierungen in den Cyberfeminismus zu beleuchten und weitere operative
Aktionsradien zu besprechen.
Strategies of the New Cyberfeminism. Referentinnen: Nat Muller, Ursula Biemann, Susanne Ackers, Cornelia Sollfrank, Rena
Tangens, Barbara Thoens, Stephanie Wehner, Claudia Reiche, Maren Hartmann, Helene von Oldenburg, Faith Wilding, Maria
Fernandez, Yvonne Volkart, Caroline Bassett, Rachel Baker, Rasa Smite, Ieva, Corrine Petrus, Marieke van Santen, Mare Tralla,
Pam Skelton.