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Musen, UFOs und Museen
Helene von Oldenburg
Im Alten Griechenland waren noch die Musen für "werdende Kunst" zuständig. Man baute ihnen Tempel, in denen
sie verehrt und in denen mit ihrer Hilfe sowohl die Künste als auch die Wissenschaften entwickelt und gefördert wurden.
Heute suchen wir vergeblich im Museum nach einer Muse und fragen nach den architektonischen Bedingungen für einen
musenkompatiblen Ort.
Die Musen - in der griechischen Mythologie ursprünglich Quellnymphen - waren die Schutzgöttinnen der Künste und
des geistigen Lebens überhaupt. Erst drei an der Zahl, Melete (Aufmerksamkeit oder übung), Mneme (Erinnerung) und Aoide
(Gesang), wurden es später neun (Schwestern). "Der ihnen geweihte Tempel, Museion, wandelte sich zu einem überhaupt
den Musen, d.h. der Gelehrsamkeit, den Wissenschaften und Künsten, geweihten Ort. Das bedeutendste und wichtigste Museum des
Altertums im letztern Sinn war das zu Alexandria, als dessen Stifter gewöhnlich Ptolemäos Philadelphos
(284 - 246 v. Chr.) genannt wird. Es befand sich in dem Teil des königlichen Palastes, welcher zugleich für die
Bibliothek bestimmt war. Dort versammelte sich eine ausgewählte Gesellschaft von Gelehrten, die auf Staatskosten unterhalten
wurden, um ungestört ihren wissenschaftlichen Bestrebungen leben zu können."
Zu der Zeit war die Arbeit an und für Kunst und Wissenschaft noch nicht räumlich und logisch getrennt. So ist auch die
Wurzel des Begriffs "Kunst" auf die Bedeutung von "Wissenschaft" zurückführbar. "Das zu dem
unter "können" behandelten Verb gebildete Substantiv bedeutete zunächst in enger Anlehnung an das
Verb "Wissen, Weisheit, Kenntnis", auch "Wissenschaft". Dann wurde das Wort auch im Sinne von "
(durch übung Erworbenes) Können, Geschicklichkeit, Fertigkeit" verwendet, beachte z.B. die Zusammensetzungen
Fechtkunst, Kochkunst, Staatskunst, Verführungskünste. Seit dem 18. Jahrhundert bezieht sich "Kunst" speziell
auf die künstlerische Betätigung des Menschen und auf die Schöpfung des Menschengeistes in Malerei, Bildhauerei,
Dichtung und Musik. An den Gebrauch des Wortes im Sinne von "künstlich Geschaffenes" (Kunst im Gegensatz zu Natur)
schließen sich z.B. an die Zusammensetzungen Kunstdünger, Kunsthonig, Kunststoff...."
Ganz anders sieht das Museum gegen Ende des 20. Jahrhunderts aus. Die Erinnerung - hier in Gestalt des Lexikons - an die Musen ist
gänzlich vom Museum getrennt. Wir lesen in Meyers Taschenlexikon, "Museum" sei seit dem 18. Jahrhundert eine
Bezeichnung sowohl für Sammlungen künstlerischer und wissenschaftlicher Gegenstände als auch für die Bauten,
in denen sie untergebracht werden. Das moderne Museum sei je nach Größe, ein personalintensiver Betrieb mit Labor,
Bibliothek, Verwaltung und Institutionen für Öffentlichkeitsarbeit, mit wissenschaftlichem Personal, Präparatoren,
Restauratoren, Technikern und Aufsehern. Es dient der Sammlung, Bewahrung, Erforschung und Wiederherstellung von Kulturgut, v.a.
aber dessen sinnvoller Präsentation und Erläuterung.
Das Museum selbst hatte im Laufe der Zeit aufgehört, ein Ort zu sein, an dem die Musen zu finden wären. Heute ist ein
Museum eher ein Lagerplatz für fertige Kunstwerke. Eine Ausstellung im Museum garantiert dem Betrachter, das es sich bei dem
Präsentierten um Kunst handelt und schützt ihn vor dem Ansinnen, selbst künstlerisch wissenschaftlich tätig
werden zu müssen.
Im Laufe der Zeit ist also aus einem Ort (Tempel) der Verehrung und Huldigung eines prozessesualen Forschens und Formens ein Ort
der Fetischisierung von Produkten geworden. Die Huldigung ist erfolgsorientiert. Das Museum enthält fertige, abgeschlossene,
sich nicht mehr verändernde Arbeiten, oder Versuche, die nicht weitergeführt wurden. Ein Prozess kann sich nicht frei
entwickeln, wird höchstens ausgestellt, wenn das Ergebnis bekannt und wiederholbar ist. Das Museum dient als Rahmen oder
Sockel mit Kunstgarantie. Kein Platz ist mehr im Museum für Unfertiges; oder gar für Projekte mit ungewissem Endresultat.
Die Musen weichen aus auf Ateliers und Labors als Orte für Entstehendes und Werdendes. Verschiedene Versuche und Experimente,
die anstrebten, das Museum als Ort prozessualer Funktion zurück zu erobern - von der technischen Revolution über Fluxus,
Concept Art, Happenings, Performances bis hin zur Gentechnik - erweisen sich letztendlich als erfolglos. Das Ablösen des
unveränderbaren Kunstwerkes durch einen Entstehungsprozess mit ungewissem Ausgang musste scheitern. Noch nicht einmal der
natürliche Verfall wird als Prozess im Museum zugelassen - Bilder und Skulpturen werden unermüdlich unter hohem
finanziellen Energieaufwand restauriert.
Ein weiterer Versuch, diesmal das digitale Netz mit seinen prozessualen und interaktiven Eigenschaften, als Ort für die
heimatlosen Musen zu gewinnen, scheitert ebenfalls am Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit und seiner Angst vor dem
Ungewissen. Der Mensch, der von jeher arachnoid bestimmt war und in Zukunft sich immer mehr zur Spinne entwickelt haben wird,
neigt dazu, das Netz als Falle und Fessel einzusetzen und weniger als freien Ort der virtuellen Musen zu begreifen. Sie, die
Musen, brauchen ein neues Museion, in dem wieder Raum für ihre Fähigkeiten wäre. Welche Eigenschaften müsste
so ein Ort aufweisen? Er müsste Raum für Zukünftiges bieten, musenbedingt natürlich "weiblich" sein,
Kunst und Wissenschaft in ein neues Verhältnis setzen und innerhalb des menschlichen Horizonts liegen, sich aber dennoch dem
menschlichen Zugriff entziehend. Ein Ort des Begehrens und der Sehnsucht!
Diesen Ort gibt es inzwischen. Neuerdings lassen sich die Musen wieder orten. Sie sind zeitgemäß in Verbindung mit
einer extraterrestrischen Flugmaschine, dem UFO, anzutreffen. Unter einem UFO - Unidentified Flying Object - wird obwohl
ursprünglich ein militärischer Begriff, heute allgemein ein Flugobjekt mit außerirdischen Besuchern an Bord
verstanden. UFOs werden in verschiedenen Formen und Gestalten rund um unseren Planeten gesichtet. Sie zeichnen sich aus durch
eine Schnelligkeit und Wendigkeit, die von terrestrischer Technologie noch nicht erreicht werden kann. Auch sind sie für
zivile wie militärische überwachungstechnologien unsichtbar, sichtbar aber fürs bloße Auge oder die Kamera.
Unstrittig ist, daß UFOs als Augenzeugenberichte, Medienspektakel, Entführungserlebnisse, Abbildungen, als Haupt- und
Nebenfiguren in Science-Fiction Filmen und Literatur, als Werbeträger usw. existieren. Sie sind Medienereignisse.
Angezweifelt wird dagegen ihre konkrete Materialität und die Originalität ihrer Besatzung. Sie tauchen im Grenzbereich
heutiger Realität auf, bewegen sich knapp außerhalb des wissenschaftlich Nachweisbaren und öffnen der menschlichen
Intuition neue Welten.
Mit jeder UFO-Sichtung untrennbar verbunden, ist der Zweifel an ihrer materiellen Existenzform. Handelt es
sich "tatsächlich" um außerirdische Raumschiffe? Diese Frage bleibt nach über 50 Jahren
moderner "Flying Saucer" Forschung weiterhin ungeklärt. Der Begriff der "Fliegenden Untertasse"
(Flying Saucer) wird erst 1947 von Kenneth Arnolds geprägt, der am 24. Juni 1947 neun diskusförmige Objekte über
den Cascade Mountains, Washington, gesehen hatte. "Die Dinger flogen wie Untertassen, wenn man sie übers Wasser
springen läßt." Diese frühe Beschreibung einer UFO-Formation verweist schon auf die Musen, die "die
Dichter beflügeln" und die ursprünglich Quellnymphen waren, d.h. Schutzgöttinnen des Fließenden und
des Wassers.
Die lange Tradition von Berichten der am Himmel reisenden oder von himmlischen Orten herabsteigenden Götter und gen Himmel
auffahrender Gotteskinder entspricht dem jeweiligen Zeitgeist. Ende des letzten Jahrhunderts wird passend zur Entwicklung von
Flugmaschienen das Science-Fiction Genre entwickelt. Der "Himmel" verändert sich bis hin zum Informationszeitalter,
das die Grenzen zwischen RL (Real Life) und VR (Virtual Reality) verschwimmen und damit auch die Grenzen zwischen Kunst und
Wissenschaft wieder durchlässig werden lässt. Doch wird jetzt nicht im ursprünglichen altgriechischen Wortsinn
Kunst und Wissenschaft in einen Begriff zurückgeführt, sondern die fließende Grenze bildet einen neuen Ort. E
inen Ort, der nicht Kunst ist und nicht Wissenschaft ist, und dennoch von beiden begrenzt und definiert wird. Ein Symbol und
ein Indiz für diesen sowohl alten als auch neuen Ort ist das UFO.
Das UFO erfüllt von seiner Architektur und seinen Möglichkeiten die Bedingungen, um als ein den Musen geweihter Ort
identifiziert werden zu können. UFOs sind hochtechnologisch, extraterrestrisch (wenn sie auch nicht mehr vom Olymp kommen),
flüchtig, weiblich und futuristisch. Wenn - wie an anderem Ort gefragt wurde. - "es sich bei dem ganzen UFO-Umfeld um
den Versuch handelt, etwas bisher nicht Begreifliches, aber schon vorhandenes Neues, für das es bisher kein Bild und keinen
Begriff gibt, zu visualisieren, dann wäre die Gestalt der "Fliegenden Untertasse" mit extraterrestrischen
Besuchern an Bord nur eine von vielen Erscheinungsformen, die versuchen neue Zusammenhänge, Erscheinungen und Änderungen
unserer Lebensbereiche zu beschreiben. Demnach handelt es sich bei einem UFO, soweit darunter außerirdische Besucher
verstanden werden, um ein Konstrukt, dem künstlerische Strategien attestiert werden müssen".
Neben der künstlerischen Intention ist die Eigenschaft von UFOs, sich auf unserem Planeten außergewöhnlich schnell
fortbewegen können, zu fantastischen Flugmanövern fähig und doch nicht nachweisbar zu sein, Indiz genug für
die Anwesenheit nichtterrestrischen Know-hows. Unterstützt wird diese Annahme durch den deutlich religiösen Charakter
im
Umfeld von UFO-Begegnungen und Entführungen durch UFOs. Dazu ist der Glaube an die aus fernen Galaxien kommende
Autorität, die die Menschheit vor drohender Selbst- oder Umweltzerstörung rettet, ebenso zu zählen wie diverse
Sekten, die Massenselbstmorde und Massenmorde inszenieren, um rechtzeitig mit den Heilsbringern in bessere Welten mitreisen zu
können.
Im Alten Griechenland kamen die Musen von den Quellen oder dem Olymp. Heute kommen die Aliens aus der Weite des Alls. Mit dem
erstmal geschlechtsneutralen englischen Begriff "Alien" werden die in UFOs reisenden Wesen bezeichnet. Alien ist aus dem
Griechischen "allos - ein anderer" entstanden . Jedoch können die in Science-Fiction Literatur und Film
beschriebenen "monströsen bis extravaganten Gestalten (...nur) als weiblich angesprochen werden". Auch
lässt sich "das Unbekannte, Unsichtbare aus dem All (...) als weiblich" identifizieren.
Die universale Präsenz, die für UFOs beansprucht wird und die auch als sogenannte Verschwörungstheorie bezeichnet
wird, bildet eine weitere Parallele zur Verehrung der Musen im griechischen Museion. So sollen alle Regierungen, die USA
besonders, ihre Forschungen und ihre Zusammenarbeit mit außerirdischen Besuchern verschweigen, um ihren dadurch gewonnenen
technischen Zugewinn nicht offenlegen zu müssen und um eine allgemeine Massenpanik zu vermeiden. Es wird angenommen, dass
unsere außerirdischen Besucher an geheimen Forschungsstätten (im Alten Griechenland nannte man solche Orte Tempel!)
Wissenschaft und Forschung Informationen vermitteln, die weit über unsere Zeit hinausreichen.
All diesen UFO-Erscheinungen ist gemeinsam, dass sie eine Aura des Weiblichen und des Ungewissen transportieren. Bei näherer
Untersuchung entpuppt sich diese Ungewissheit als eine Strategie. Eine Strategie, die nicht nur eine Lücke zwischen einem
"realen" Ereignis und deren Information aufmacht, sondern diesen Raum strategisch besetzt und offen hält. Hier
entstehen Gerüchte und futuristische Theorien. Hier ist Platz für Glauben an Unwahrscheinliches und Mögliches. Hier
werden Utopien angesiedelt und erprobt.
Was kann das UFO anderes sein, als eine Architektur für einen musealen Ort?!
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