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Introducing Cyberfeminism

Claude Draude

Ist Cyberfeminismus die feministische BenutzerInnenoberfläche für das neue Jahrtausend? Eine Einführung in den digitalen Ungehorsam von Claude Draude

"Beginning as if by spontaneous combustion, from a few hot nodes in Europa, America and Australia, cyberfeminism became a viral meme infecting theory, art and the academy. It arose as a response to popular culture - video games, the internet and especially Gibson's notion of cyberpunk. If the new breed of techno-cowboys could jack in at will, well so could the grrrls. And with a vengeance, girls got digital and used the language of the new techno-culture to create their own conceptual vanguard." (VNS Matrix)

Einen Text über Cyberfeminismus verfassen zu wollen, vielleicht sogar den Cyberfeminismus bestimmen zu wollen, ist kein leichtes Vorhaben, stellt dieser -ismus doch gerade einen dar, der sich der Definition entziehen will. Cyberfeminismus soll vielmehr eine kritische Praxis beschreiben, die die differenztheoretischen Debatten in und um den Feminismus der letzten beiden Jahrzehnte berücksichtigt. Diese nämlich machen es kaum noch möglich von dem Feminismus bzw. der Frau als Subjekt feministischer Bestrebungen zu sprechen. Die neueren Diskurse beziehen ihre Impulse ganz konkret aus den Lebenswelten jener Frauen, die sich in einem, inzwischen als "white, middleclass, liberal, heterosexual" diskreditierten Feminismus nicht wiederfinden ("women of color", lesbische Frauen, ...). Gemein ist diesen Positionen die Ablehnung eines universalen Gebrauchs festgeschriebener Identitätskategorien sowie die Isolierung einzelner Kategorien wie eben der des "Geschlechts". Anstelle einer falschen Homogenisierung tritt eine differenziertere Wahrnehmung. Gleichzeitig tun sich mit dieser Vielfältigkeit auch neue Schwierigkeiten auf, wie zahlreiche Artikel zu den (Un)Möglichkeiten feministischen Politikmachens jenseits essentialistisch gefasster Identitätskonzepte als Bindungsmoment deutlich machen. Der Cyberfeminismus will solche Überlegungen berücksichtigen und dennoch Möglichkeiten feministischer Politik formulieren. Mag der Versuch einen -ismus zu konstituieren, der keiner sein soll, auch widersprüchlich erscheinen, so verweist diese Widersprüchlichkeit genau auf das Spannungsverhältnis, in dem sich Cyberfeministinnen bewegen. Cyberfeminismus stellt nicht die eine Bewegung dar, die programmatisch bestimmten Zielen folgt, sondern bietet vielmehr einen "entry point" zu Debatten um Frauen/Feminismus/neue Technologien. Oder, um Tech-Sprache zu gebrauchen: Es handelt sich um eine feministische BenutzerInnenoberfläche, die eine Vielzahl von Anwendungen erlaubt. Auf cyberfeministischen Websites finden sich Sätze wie, "Cyberfeminism is a misunderstanding" oder "Cyberfeminism is a fake ideological interface", und die 100 Antithesen des Cyberfeminismus erzählen auf vielfältige Weise, was dieser Begriff alles nicht bezeichnet. "To keep the term as open as possible" ist das Ziel, um der Gefahr der Ausschlussproduktion, die mit feststehenden Labeln einhergeht, entgegenzuwirken. Idealerweise beschreibt Cyberfeminismus ein Set von möglichen Praktiken, Zugangs- und Verhandlungsweisen, die ständig erweiterbar/rekonfigurierbar sind.

Cyberpunk, Cyberspace, Tech-Culture

Das Territorium cyberfeministischen Begehrens sind zunächst einmal die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien oder der Cyberspace - um den viel strapazierten Begriff zu gebrauchen, der die "Lebenswelt Internet" bzw. unsere digitalisierten Transaktionen benennt. Cyberspace steht für die Geschichten, die mit den neuen Technologien entstehen, diese begleiten und konstituieren - stellt aber zugleich selbst deren größte Erzählung da. Maßgeblich geprägt ist die Wahrnehmung dieser Sphäre von den gegenwärtigen Science Fiction Romanen und Filmen, allen voran von denen des Cyberpunk Genres, dessen Selbstbeschreibung "high tech - low life" sich als "a place where High Technology meets the street" liest. Shooting Star der Cyberpunk Fiction ist der exilierte US-Amerikaner William Gibson, der 1984(!) mit Neuromancer den Kultroman des Information Age veröffentlichte. Das Spannende am Cyberpunk ist, daß hier neue Phänomene wie etwa das Erlebnis Virtueller Realität nicht nur eine neue Sprache fanden, sondern daß die Erzählungen in der Folge zum allgemeinen Referenzpunkt für das "being wired" wurden. Cyberpunk spricht die Sprache der neuen Anti-Helden: der Hacker, Computerfreaks, Nerds und Geeks. Zunächst als subkulturelle Strömung gefaßt schufen Cyberpunk-Geschichten durch ihre Interpretation und fiktive Weiterführung der neuen Technologien deren kulturellen Bedeutungsrahmen und Verständniskontext. Cyberpunk beschreibt postmoderne Dystopien, in denen Megakonzerne die Welt regieren und Herrschaft über Information Machtverhältnisse bestimmt. In postapokalyptischen Szenarien sind Computerhacker - bei Gibson die console cowboys - die Anti-Helden im Kampf um die Ware Information. Wie Julianne Pierce von VNS Matrix feststellt: "Information is a weapon - it's political". Maschinen und Menschen werden gleichermaßen als zu entkodierende, zerlegbare und neu kodierbare Informationssysteme verstanden. Hochgradige Computerisierung, Networking, Virtual Reality Anwendungen, angewandte Bio- und Gentechnologie, Artificial Life Projekte bestimmen das Leben. Cyberpunk beschreibt massive Umwälzungen, die die Grenzen zwischen Natürlichem und Artifiziellem, Simulation und Realität brüchig werden lassen. Neue Identitäts- und Lebensformen werden möglich, die die alten Konzepte, die auf strikten Dualitäten und deren Abgrenzung voneinander beharren, untergraben. Spannende Möglichkeiten scheinen sich also aufzutun - die Welt wird nicht nur neu denkbar, sondern auch neu formbar. Cyberpunk greift so in seinen Erzählungen die Hoffnungen und Versprechen bereits heute praktizierter Technowissenschaften auf und wird deshalb vielerorts als eine adäquate Beschreibung sozialer Wirklichkeiten gelesen.

Girls get digital

Was die Versprechen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien angeht, nehmen Feministinnen, die sich mit ihnen in kritischer, aber nicht ablehnender Weise beschäftigen, eine ambivalente Position ein. So wurde (und wird) das Internet besonders auf der Ebene neuer Geschlechterpolitiken häufig als das Terrain gepriesen, welches ermöglicht, sich neue partielle Identitäten zu schaffen und Geschlechtergrenzen zu durchbrechen. Mit dem Cyberspace scheint sich der Traum einer Post-Gender-Welt zumindest temporär erfüllen zu lassen. Ein genauerer Blick auf die Netzwirklichkeit und auf die Geschichten, die sie begleiten und konstituieren, versetzt euphorischen Beschreibungen allerdings einen gehörigen Dämpfer.
Populäre Netzkultur transportiert und vertieft in der Regel stereotypisierte Bilder von Geschlechtlichkeit, Rassenidentität etc. und überwindet sie nicht. Um dies festzustellen, genügen wenige Ausflüge ins Netz, in die Welt der Computerspiele und Cyberfilme. Dies gilt auch, wenn die Einordnung cyberpopulärer Phänomene nicht immer eindeutig ist. So läßt sich Tomb Raider Heldin Lara Croft unter Umständen als feministische Empowerment-Strategie oder als "Performing Drag" lesen, oder eben als Wiedereinschreibung heterosexueller binärer Matrix. Der Cyberspace, von Gibson als consensual hallucination der UserInnen beschrieben, läßt sich eben nicht von der Außenwelt abkoppeln - auch wenn die autonome Zone Netz noch so sehr der Wunschtraum vieler ist.
Aus cyberfeministischen Blickwinkeln heraus scheint so vieles, was die weitverzweigte Tech-Kultur im glitzernden Cybermäntelchen präsentiert, alte Information in neuem Gewand zu sein. Besonders deutlich wird das eben an der Darstellung der Geschlechterverhältnisse, am Umgang mit Körpern und an deren (virtuellen) Repräsentationsformen. "The desire to leave and beat the meat" durchzieht in weiten Teilen die Datenströme. Viel Hoffnung wird aus der Distanz zum Leibkörper geschöpft - für Feministinnen kann dies der Abschied vom geschlechtlich (und anderweitig) vorkodierten Körper heißen. In Cyberpunk-Geschichten wird die Sphäre der Leibkörper oft als "meat space" bezeichnet. Mit ihrem Potential, das Selbst und (virtuelle) Körperlichkeit als rein grafisch/textuales Produkt zu stilisieren, erzählen sie immer auch von einer Welt, in der die Materie der Leibkörper obsolet geworden ist. Im Land der ultimativen Textproduktion wird alles schreibbar und damit machbar. Ziel ist es, die Unkontrollierbarkeit, Widerständigkeit und Fragilität des physisch verankerten Lebens - den meat space - hinter sich zu lassen. Computergenerierte Welten werden zum transzendentalen Ort des mind over matter. An Repräsentationen von Körperlichkeit mangelt es dennoch nicht in den Netzen. Virtuelle Körper erzählen in ihren textualen und grafischen Konstrukten von lebbaren, erstrebenswerten Körpern und Identitäten. "Cyberfemmes are everywhere, but Cyberfeminists are few and far between" (Nancy Paterson).

Cyberfeminismus als Antwort auf Tech-Malestream

Feministinnen haben heute eigentlich keine Wahl mehr. Sie müssen sich auch mit den neuen Technowissenschaften auseinandersetzen, bestimmen diese doch maßgeblich das Leben an der Jahrtausendwende. Donna Haraway, die mit 'A Cyborg Manifesto' (1983) eine der einflussreichsten Theoretikerinnen des Cyberfeminismus wurde, betont: "Feminist concerns are inside of technology, not a rhethorical overlay. We're talking about cohabitation: between different sciences and forms of culture, between organisms and machines. I think the issues that really matter - who lives, who dies, and at what price - these political questions are embodied in technoculture. They can't be got at in any other way."
Kann Cyberpunk als Ausdruck subkultureller Praktiken angesichts der Mainstream Cyberkultur gelesen werden, so kann Cyberfeminismus als ein Feminismus verstanden werden, der die Bedeutung neuer Technologien anerkennt und für sich nutzen will. Cyberfeminismus ist nicht bloß eine Antwort auf den Tech-Mainstream, sondern überhaupt auf den Tech-Malestream, und der findet sich auch (oder besonders) in den subkulturellen Imaginationen der Netzkultur, die sich einer netzkritischen Haltung rühmen.
Vor diesem Hintergrund - sowie in Anbetracht neuerer feministischer Diskurse - lassen sich die Inhalte cyberfeministischer Strategien und Aktionen verstehen. So befindet sich das australische Künstlerinnenkollektiv VNS Matrix, Cyberfeministinnen der ersten Stunde, seit seiner Gründung auf einer "mission to hijack the tools of the techno-cowboys and remap technoculture with a feminist bent". Ziel ist es, zunächst einmal Terrain zu besetzen, sowie jene stereotypen Zuschreibungen umzuschreiben, die Frauen bislang von der aktiven Einflußnahme in neue Technologie weitgehend abgehalten haben. Ein Zuwachs an Nutzerinnen im Netz allein genügt nämlich nicht. Ist ein solche - zwar begrüßenswerte - Entwicklung doch kein Indiz dafür, daß das Netz zum feministischen Tummelplatz wird und sich gar die zugrundeliegenden Inhalte und Strukturen ändern. Nein, dazu muß es schon mehr sein. Cyberfeminismus meint vor allem aktive Präsenz/Agentinnenschaft im Internet und eigenständige Positionen in der Technologieproduktion und -gestaltung - und nicht etwa die Möglichkeit zu Online-Shopping. Hier geht es vielmehr darum, stereotype Geschlechterbilder anzugreifen, die Mythen einer "männlichen" Technik aufzubrechen und diesen etwas entgegenzusetzen.

Recode, Remap, Reconstruct

Die Strategien, die cyberfeministische Projekte auf dem Weg dahin anwenden, sind vielseitig. "Altfeministische" separatistische werden ebenso verwendet wie solche aus dem weiten Feld ästhetischer/künstlerischer Praktiken. Separatistische Strategien wie sie z.B. Women-Only-Mailinglists darstellen sowie übrige geschlechtsspezifische Angebote, die den cyberfeministischen Bestrebungen nach einer Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht ja eigentlich zuwider laufen, können als Empowerment Strategien eben dort noch Sinn machen, wo Räume und Positionen in einem solchem Maße männlich dominiert sind, wie es in der Technologieproduktion der Fall ist. Das "Herz" cyberfeministischer Aktion bilden jedoch ästhetisch/künstlerische Strategien, wobei hierzu nicht nur die Dekonstruktion von Geschlechtsrepräsentationen zählt, sondern jegliche Unterwanderung traditioneller Konzepte im Netz und in den Institutionen der Tech-Kultur. Als RECODE, REMAP, RELOCATE, RECONSTRUCT Tech-Culture lassen sich diese Praktiken schlagwortartig beschreiben. Cyberfeministische Projekte operieren in der Regel nicht mit einer massiven Front im Sinne einer gegenkulturellen Bewegung, sondern mit subversiven Unterwanderungen des Mainstream mittels ironischer Brechungen, Zitate, Umformungen. VNS Matrix zeigen dieses Spiel mit Sprache und Bedeutungen in ihrem Bitch Mutant Manifesto. In Anlehnung an die Riot-Grrrl-Bewegung besetzen sie hier auf aggressive Weise symbolische Zuschreibungen neu. Bitch, Cunt, Slut - abwertende Bemerkungen über Frauen aus der Sprache des Malestream - werden gekidnappt und positiv neu kodiert. Und als Antwort auf die Obsession der Cyberkultur, den Leibkörper als "wet meat" hinter sich zu lassen, verbinden sie eben genau diese beiden Sphären. Stellen VNS Matrix auf einer ihrer Sites eine Gebärmutter dar, auf deren Nährschleim feministische Projekte was für Projekte? heranwachsen, so ist das zum einen der Versuch, Technologie "weiblich zu konnotieren, aber auch der, den Fleisch-Körper jenseits der im Netz vorherrschenden übersexualisierten Fetisch-Cyborgs zu thematisieren. Was hier leicht den Verdacht erregen kann, wiederum essentialistische Konzepte von Weiblichkeit einzuschreiben, soll vielmehr die Verwobenheit von Cyberspace und Außenwelt klar machen und den Perfektionsträumen der Virtual Reality-Ingenieure etwas entgegensetzen. Wird von cyberfeministischer Seite aus mit den Konzepten Frau/Mann gearbeitet, so erscheinen diese als solche immer schon überholt - dennoch wird mit ihnen gearbeitet, da es kaum möglich ist, eine Position außerhalb der herrschenden Bedeutungsökonomie zu beziehen. Neben der ästhetisch/künstlerischen Einflußnahme werden jedoch, gerade in den letzten Jahren, die Forderungen nach einer (cyber)feministischen Einflußnahme auf die Sphäre der Technologieproduktion laut. Der Bereich der Technologieproduktion läßt sich nicht von gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutungssystemen abkoppeln. Cyberfeminismus muß auch als Aufforderung verstanden werden, wichtige Positionen dort einzunehmen, wo neue Technologien entwickelt, gestaltet und produziert werden. Allerdings muß hier auch, wie bei allen erwähnten Praktiken, benannt werden, für welche dies überhaupt in Frage kommt. Die Begeisterung für den Cyberfeminismus darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich zu diesem Zeitpunkt um eine Benutzeroberfläche handelt, die nur vergleichsweise wenige Frauen (bzw. bestimmte Gruppen von Frauen) auf diesem Planeten nutzen können. Die Theoretikerinnen und Aktivistinnen, die sich mit Cyberfeminismus beschäftigen sind bisher wohl vorrangig Frauen in eher privilegierten Positionen - mit guter Ausbildung und mit einem, gemessen am Großteil der Weltbevölkerung, hohem materiellen Lebensstandard. Auf der anderen Seite sind es heute vor allem weibliche Arbeitskräfte, die sich bei der Herstellung von Computerhardware 'ihre Hände mit Technologie schmutzig machen'. Allerdings geschieht dies eben nicht in dem von Cornelia Sollfrank (OBN) eingeforderten Sinn der aktiven Beeinflussung neuer Technologien durch Frauen, sondern gemeint sind hier die zahlreichen 'Billig-Lohn'-Arbeiterinnen, die die 'digitale Revolution' für bestimmte Teile der Welt überhaupt erst ermöglichen. Aber auch und gerade die Thematisierung solcher Verhältnisse, markieren das Territorium *Cyberfeminismus*.

contact: claude.draude@gmx.net

Cyberfeminismus Websites:
VNS Matrix
Old Boys Network
studio xx

Literatur:
Nancy Paterson, Cyberfeminism
Rosi Braidotti, Cyberfeminism with a difference
Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. In: D.H.: 'Die Neuerfindung der Natur - Primaten, Cyborgs und Frauen', Frankfurt/Main: Campus 1995

Cyberpunk
Websites/Newsgroup:
Cyberpunk Project
Cyberpunk Newsgroup: "alt.cyberpunk"

Literatur:
William Gibson: Neuromancer. London: HarperCollins 1993
Interview mit William Gibson, Telepolis
Mike Featherstone/Roger Burrows: Cyberspace, Cyberbodies, Cyberpunk. London: Sage 1995


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