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Diese Körper genannten transnationalen Moleküle

Yvonne Volkart

"Gewollt oder ungewollt leben ich und viele Millionen (wenn nicht gar Milliarden) andere menschliche und nicht-menschliche Wesen auf diesem der Sonne drittnächsten Planeten in den zugleich materiellen und imaginären Zonen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Technowissenschaft eruptiv entstanden sind. Ich bin jenen fabrizierten natürlich-technischen Wesenheiten - wie Plutonium und transgene Organismen - verwandt, die mit dem Verlangen nach und der Angst vor einer Trennung zwischen Natur und Kultur gleichermassen ihren Spott treiben. Meine Familie, meine Herkunft, mein Körper werden von den materiell-semiotischen Praxen gebildet, die zeugungsfähige Atome zu einem transnationalen Molekül zusammenfügen. Diese Atome haben einfache Namen: Fötus, Gen, Chip, Samen, Datenbank, Gehirn, Bombe. Diese elementaren Bausteine, diese Cyborg-Atome der technowissenschaftlichen Welt sind wie Plutonium - d.h. sie erlangen ihre Lebens- oder Halbwertzeit durch die technowissenschaftliche Praxis, die menschliche und nicht-menschliche Wesen aller Arten zusammenbindet. Und genau in diesen Praxen - in der Cyborg-Chemie dieser Verbindungen - liegt, so denke ich, meine grösste Verantwortung."

Mit diesen fulminant-provokativen Sätzen eröffnet die nordamerikanische Biologiehistorikerin Donna Haraway ihr Vorwort zur deutschen Ausgabe "Monströse Versprechen", einem 1995 erschienen Band mit älteren und neueren Texten. Erst dieses Buch sowie das im selben Jahr auf Deutsch übersetzte "Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen" gaben im deutschsprachigen Raum, nachdem Jahre zuvor das "Argument", vom grossen Strom eher unbemerkt, einige wichtige Aufsätze abgedruckt hatte, die Bahn frei für die seit zehn Jahren nicht anhaltende, begeisterte internationale Donna-Haraway-Rezeption. Sätze wie "Wir sind Cyborgs", aus dem 1985 erstmals publizierten "Cyborg Manifesto" machten aus Donna Haraway nicht nur eine der am meisten zitierten feministischen Cultural-studis-Vertreterinnen, sondern auch regelrecht einen Diskurs-Popstar. Kaum eine technophil angehauchte Kunst- oder Neue-Medien-Ausstellung, die nicht wirkungsvoll Sätze von Donna Haraway zu inszenieren weiss. Kaum ein Text über posthumane Lebensbedingungen, der das "Cyborg Manifesto" nicht zitierte und mit populären Soldaten-Cyborgs à la Terminator oder Robocop illustrierte. Das ist in gewisser Weise erstaunlich - denn Haraways feministisch und antikapitalistisch engagierte Schreibweise ist äusserst komplex, unbequem und schwierig zu lesen -, andererseits verwundert es in Anbetracht an- und abschwellender Diskursmoden letztlich nicht: Haraways lange heterogene Aufsätze sind bestens zur simplifizierenden Zerstückelung und linearen Aneignung geeignet. Was frei auf dem aktuellen Zitatenmarkt flottiert, sind zumeist die immer gleichen Bruchstücke aus dem mittlerweile bereits etwas in die Jahre gekommenen "Cyborg Manifesto" und dienen gerne, haarscharf entgegen Haraways Intention, extrem technikdeterministischer Argumentationen. Hat man die blindwütigen Appropriationen in den Kunstkatalogen und Cyberspace-Magazinen hinter sich gelassen, sind genauere Exegesen, Kritiken und Weiterführungen ihres ironisch-paradoxen, antirassistischen, wissenschafts-, feminismus- und modernismuskritischen "Artefaktizismus", insbesondere im Gebiet der feministischen cultural studies, auch zu finden.

Die neue Weltordnung AG

Festzuhalten bleibt aber, dass Haraways Arbeiten durch "Fehllektüren" und Nivellierungen so systematisch zu einem Scheuklappen-Technikdeterminismus "umgeschrieben" werden, dass man versucht wäre zu sagen, dass erst diese Rezeptionen den Kampfplatz, auf dem die Gefechte geführt werden, konkret erlebbar machen. Donna Haraway nennt ihn "The New World Order, Inc." - Die neue Weltordnung AG, und meint damit schlicht unsere zeitgenössische, von transnationalen ökonomischen Interessen neu kartographierte und zu karthographierende Welt. Ihre vor allem in neuerer Zeit gestellte Hauptfrage gilt dem Raum, den diese Neue Weltordnung AG für alle menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen vorgesehen hat und wie es für diese, also für uns, möglich ist, darin Verantwortung zu übernehmen und eine lebenswerte, lustvolle Existenz zu behaupten. Eines der von Haraway vorgeschlagenen Mittel ist die Zeugenschaft in all ihren Ausprägungen. Das legt der auf eine imaginäre e-mail-Adresse verweisende Titel ihres neuesten Buches "Modest_Witness@Second_Millenium.FemaleMan©_Meets_OncoMouse™" (Anspruchsloser_Zeuge@ Zweites_Jahrtausend.FrauMann©trifft_ Krebsmaus™) nahe: Zeuge/in und nicht Opfer zu sein in der neu anbrechenden Zeit, "im Bauch des Ungeheurers" namens "Global Village" und acht zu geben auf die "monströsen Versprechen" mit ihren technowissenschaftlichen Heilsvorstellungen. Der/die anspruchslose Zeuge/in ist Sender/in und Empfänger/in von Haraways e-mail. Der Ort, wie er bei einer e-mail-Adresse stets mit den Zeichen "@" und "." angegeben wird, sei das hochkapitalisierte Netz, und situiert sie den/die "modest witness" als Spion/in, Pfadfinder/in und Gebraucher/in.

Ansonsten aber darf man von Donna Haraway keine konkreten Konzepte oder gar Anweisungen für politisches Handeln erwarten: Die an der University of Santa Cruz in Kalifornien lehrende Professorin ist keine Aktivistin, sondern eine Theoretikerin, die science, cultural und gender studies zu einem brisanten Mix fusioniert und die ganz im Gegensatz zu den traditionell sich objektiv gebärdenden, tatsächlich zumeist patriarchal-westliche Interessen vertretenden Kollegen aus den Naturwissenschaften, ihre politisch engagierte Position benennt. Sie stellt klar, dass es die vielbeschworene objektive Wissenschaft nicht gibt, sondern dass alles Wissen, wie sie es nennt, "situiert" ist. Am Beispiel der Primatenforschung etwa zeigte sie auf, wie scheinbar neutrale Beobachtungen über die Lebensweise von Menschenaffen vom Blick der Forschenden geleitet sind, wie Geschlecht und historischer Kontext die Forschungsergebnisse wesentlich mitproduzieren, und zwar so sehr, dass die Ergebnisse, zB. bezüglich des Paarungsverhaltens, einander sogar diametral entgegengesetzt sind. Haraway spricht als weisse, feministische, antirassistische, multikulturelle, poststrukturalistische, marxistische Akademikerin und Molekularbiologin zu uns, die uns lehrt, dass "Biologie ein Diskurs, nicht aber die lebendige Welt selbst" ist [MV17]. Die Biologie beschreibe nicht nachträglich Organismen und Körper, die vorherig dagewesen und deren Grenzen klar abgesteckt wären. Vielmehr versteht sie im Anschluss an Michel Foucault die Biologie als Apparat körperlicher Produktion: "Organismen sind biologische Verkörperungen," und "Organismen gehen aus einem diskursiven Prozess hervor." Sie sagt nicht nur, dass Biologie eine Technowissenschaft sei (Technologie hier in der Doppeldeutigkeit wie sie Foucault einerseits als körper- und bedeutungsproduzierenden Apparat versteht und andererseits in der Tat als Technologie, die die postmoderne "Natur" repräsentiert), und dass sie mithin ein veränderbares "Gewebe von Praxen" sei. Sie hält darüberhinaus fest, dass die Biologie zur universalsten Wissenschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert geworden ist, die die Macht hat, die Zukunft von Menschen weitgehend festzulegen. In einem Interview mit der Kulturkritikerin Thyrza Nicols Goodeve sagt sie: "Biologie ist nicht nur das Studium, das am häufigsten belegt wird, sie ist auch für ungeheuer viele Karrieren von Bedeutung - von der Unterhaltungs- zur Gesundheitsindustrie, von der Kultur zur Nahrungsmittelherstellung, zur gesetzlichen Regelung geistigen Eigentums, zu Umweltrecht und Management und so weiter. Es gibt heutzutage fast keine Betätigung, die gänzlich ohne die Lese- und Schreibpraktiken der Biologie auskäme." Mithin, die Biologie ist ein nicht unschuldiger "Teil der Alltagskultur", die unser Leben vor-schreibt und daran beteiligt ist, dessen Vielfalt in eine verwertbare Warenform umzugestalten. Das Human-Genom-Project ist vielleicht nur das prominenteste Beispiel dafür. Biologie ist ein Diskurs "ganz ähnlich der politischen Ökonomie." Um die unheimliche Naturalisierung des biologischen Diskurses zu ironisieren, wählt Haraway die eingangs zitierte biologistisch-wissenschaftliche Sprache. Sie paraphrasiert damit einerseits das latente bio- und technikdeterministische Denken und erteilt damit andererseits all jenen Holist/innen, die an die Wunder von natürlichen Organismen und Körpern glauben, eine radikale Absage.

Was tun, fragt Haraway, angesichts dieser scheinbar natürlichen Prozesse der Transformation der Welt in die globale "Weltordnung AG"? Was sie nun als Gegengift vorschlägt, ist tatsächlich unkonventionell, weil sie aus ihrer radikalfeministischen Haltung heraus, ohne Rücksicht auf gewisse frühfeministische Ganzheits- und Naturmythen oder eine unter Feministinnen weitverbreitete Technikfeindlichkeit, aber auch ohne die postmodernen Untergangs- und Simulationstheorien ˆ la Baudrillard zu beschwören, dafür plädiert, das Verwischen bestehender Grenzen und traditionell abendländischer Dichotomien wie Kultur/Natur, Mensch/Tier, Frau/Mann, Körper/Geist usw. zu geniessen. Dies ist aber auch eine heikle Gratwanderung, weil es das ist, was transnationale Chemiekonzerne und die Biomedizin, vordergründig zum Wohle der Menschheit, ohnehin im Sinn haben. Haraway entlarvt die zitierten Oppositionen als Blendwerke der Ideologie der Aufklärung, dessen Humanismus längst im Kapitalismus aufgegangen ist. Sie plädiert für einen "differentiellen/oppositionellen Artefaktizismus", mithin für die Einsicht, dass "Natur, als Faktum wie als Fiktion", gemacht ist: "sie ist eine gemeinsame Konstruktion von menschlichen und nichtmenschlichen Wesen." [MV15] Donna Haraway spricht also, in der Gefolgschaft des französischen Soziologen Bruno Latour, auch nichtmenschlichen Akteuren und Aktanden (Organismen, Maschinen, Tiere) Handlungsfähigkeit zu, womit sie den Menschen als den Mittelpunkt der Welt, die ihm infolge seiner dominanten Position bestens zur Ausbeutung dient, verabschiedet. Der Mensch ist nur einer unter anderen, doch suspendiert ihn diese relative Stellung nicht von der Verantwortung. Im Interview mit Thyrza Nichols Goodeve beharrt sie nachdrücklich auf der "ethischen" Aufgabe, die der Mensch im Unterschied zu den "nicht-menschlichen Entitäten" habe: "Innerhalb dieser Welten sind es die Menschen, die die emotionale, ethische, politische und kognitive Verantwortung tragen." Mit anderen Worten gibt es also immer noch Unterschiede zwischen Mensch/Nicht-Mensch, doch sind die eher funktionaler denn hierachischer Natur.

"Cyborgs für das irdische Überleben"

Die metaphorische Figur, die Donna Haraway für ihre Politik des Widerstands und der Hoffnung kreiert, ist eine, die am wenigsten unschuldig ist, und zwar weil sie im Herzen patriachaler Militarismen entstand. Sie nennt sie "die Cyborg". Das Schwierige und damit wohl auch einer der Gründe für die vielen Missverständnisse ist der Umstand, dass dieser Begriff ambivalent und uneinheitlich ist. "Cyborg" ist die Abkürzung für "kybernetischer Organismus" und wurde 1960 erstmals von den Wissenschaftlern Manfred E. Clynes und Nathan S.Kline verwendet, um einen sich selbstregulierenden Mensch-Maschinen-Hybriden zu bezeichnen, der im Weltraum überleben konnte. Cyborgs sind neben den soldatisch-faschistoiden Typen wie Terminator und Robocop auch Laborratten oder letztlich auch Menschen mit künstlichen Organen und Prothesen, kurz, Lebewesen, bei denen die Schnittstelle zwischen Maschine und Organismus unsicher geworden ist. Massgeblich an der Cyborgisierung beteiligt sind nach Haraway vor allem die Kommunikations-, Informations- und Biotechnologien, wie sie im Kalten Krieg und in dessen Nachfolge forciert wurden.
Im "Cyborg Manifesto" schreibt Haraway, dass Cyborgs "ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion" seien. Sie geht davon aus, dass die Cyborg-Realität insbesondere jene von Frauen, respektive von Frauen aus der sogenannten "Dritten Welt" gelebte Realität ist, die auf den für das ausgehende 20. Jahrhundert spezifischen Formen kapitalistischer Ausnutzung und Unterdrückung basiert, wie Deregulierung und Virtualisierung der Arbeitsverhältnisse, Auslagerung der Produktionsindustrie in den Trikont, Frauen als Ernährerinnen der Familie usw. Cyborgs sind im Prinzip die akute Realität gewordenen Alpträume des Taylorismus mit seinen menschlichen Arbeitsrobotern. "Wir sind Cyborgs. Cyborgs sind unsere Ontologie. Sie definieren unsere Politik." Verbunden mit dem Gedanken, dass es eine natürliche Natur nicht gibt, gibt es für Haraway auch den natürlichen Menschen nicht (mehr). Im Gegensatz etwa zu den Kulturpessimisten aber trauert sie nicht einer verlorenen All-Einheit nach, sondern, gespiesen von Foucaults Einsicht in die Biopolitik der Körper, erkennt sie die "Cyborg-Politik" als Faktum, aber auch als Möglichkeit, den "Grenzkrieg um Produktion, Reproduktion und Imagination" in Angriff zu nehmen. "Dieses Essay ist ein Plädoyer dafür, die Verwischung dieser Grenzen zu geniessen und Verantwortung bei ihrer Konstruktion zu übernehmen."
Wie oben angedeutet, ist diese janusköpfige Situation nicht unproblematisch und Haraway wird an dem Punkt, wo man endlich Näherers über das genaue Funktionieren dieses doppelten Blickwinkels erfahren möchte, reichlich vage und schönrednerisch. In den "unheimlichen neuen Netzwerken", die alte hierarchische Systeme ablösen und neue Formen von Regulierungsmechanismen hervorbringen - sie nennt diese "Informatik der Herrschaft" - sieht sie gerade auch die Möglichkeit zu subversiven Fusionen: "ÔVernetzungÕ ist nicht nur eine multinationale Unternehmensstrategie, sondern auch eine feministische Politikform - das Weben von Netzen ist die Praxis oppositioneller Cyborgs." Erst im zu Beginn der 90er Jahre geschriebenen Aufsatz "Monströse Versprechen" schreibt sie konkreter über mögliche Netzwerke und Allianzen, und erst im letzten Buch identifiziert sie diese Netzwerke mit dem Internet. Doch bis dahin muss man sich im "Cyborg Manifesto" mit, wie sie selber sagt, "ironischen Mythen" über imaginäre polymorph-perverse und vielgeschlechtliche Monstren und Mutanten aus feministischen Science-fiction-Erzählungen gedulden. Haraway sieht in solchen Geschichten die von ihr als abendländischen Herrschaftsdiskurs entlarvten Grenzziehungen zwischen Mensch und Tier, Mensch und Maschine, Mann und Frau, Weisse und Farbige usw. auf lustvolle Art unterwandert. Interessanterweise hat gerade diese aus heutiger Sicht leicht eskapistisch anmutende, wenn nicht gar traditionellen und technophilen Heilsversprechen leicht aufsitzende Interpretationstendenz von Haraway querbeetein das grösste Echo gefunden. Die Schreibende nimmt sich hier jetzt nicht aus, wurde sie doch selbst durch Haraway eine begeisterte Science-fiction-Leserin und muss eingestehen, dass dieses Genre tatsächlich neue Körperbilder und Lebensmöglichkeiten eröffnet, die es zu diskutieren lohnt. Die Publikation vom "Cyborg Manifesto" erschien übrigens im gleichen Jahr wie William Gibsons "Neuromancer", jener faszinierend dystopischen Cyberpunk-Geschichte, die aus männlicher Sicht zukünftige Körper- und Lebensvisionen entwirft. Mithin, das Imaginieren dämonischer und hybrider Wesen als Realutopie, das Entwerfen von neuen Körpern und Welten als Reflexion auf die momentane Existenzweise war möglicherweise Mitte der 80er Jahre ein noch wichtigerer symbolischer Akt als heute, wo science-fictionartige Biophantasmen, wenn vielleicht auch noch nicht Realität, dann doch schon imaginärer common sense geworden sein mögen. Gerade deshalb und in Anbetracht der Wichtigkeit symbolischer Ressourcen entfalten Cyborgs feministischer Prägung eine akute Virulenz. In ihrem neuesten Buch etwa erwähnt Haraway Marge Piercys Science fiction "Er, Sie und Es". Darin wird exemplarisch, was Haraway am Ende vom "Cyborg Manifesto" fordert: Dass es nicht darum gehe, neue Technologien per se zu dämonisieren, sondern darum, "Verantwortung für die sozialen Beziehungen, die durch die gesellschaftlichen Wissenschafts- und Technologieverhältnisse strukturiert werden, zu übernehmen". Malkah, eine alte Frau in einer jüdischen Freetown hilft mit, einen Cyborg zu programmieren, der die Stadt schützen soll. Sich ihrer Verantwortung bewusst, gibt sie ihm heimlich Lern- und Liebesfähigkeit mit, so dass sich, nunmehr ungeplant, eine heftige Liebesgeschichte zwischen ihm und ihrer Enkelin entzündet. Marge Piercys Cyborg ist nicht das dämonische Kunstwesen, - vornehmlich in weiblicher Gestalt - aus der Literaturgeschichte oder jener einsame, den Körper verachtende Datencowboy, wie wir ihn aus den Cyberpunk-Geschichten Gibsonscher Prägung kennen, sondern jener zärtlich-gefühlvolle Liebhaber, wie ihn sich jede Frau erträumt. Haraway selbst beschliesst ihr "Cyborg Manifesto" mit dem programmatischen Satz: "Wenn auch beide in einem rituellen Tanz miteinander verbunden sind, wäre ich lieber eine Cyborg als eine Göttin."

Wider Gen- und andere Warenfetischismen

Anfangs 90er Jahre publiziert Donna Haraway den Text "Menü mit Menschª", der einen Gedanken und eine Leseweise einführt, wie er in ihrem neuesten Buch "Modest_Witness@Second_Millenium. FemaleMan©_Meets_OncoMouseª" weiterentwickelt wird. Wie die Titel mit den Copyright- und Trademark-Zeichen anzeigen, geht es um die Warenform und Eigentumsrechte von lebenden Organismen, die ja ein umstrittenes Feld sind. Sie vergleicht zwei im Magazin "Science" geschaltete Anzeigen. Die eine aus dem Jahre 1990 zeigt die vom DuPont-Konzern patentierte Krebsmaus unter dem Titel "Den Krebs verfolgen". Dieser Maus wurde, um Brustkrebs untersuchen zu können, ein aktiviertes Onkogen injiziert, so dass Tumore wuchern konnten, und ihre Patentierung diente der Monopolisierung des DuPont-Konzerns. Haraway schreibt in ihrer Analyse: "Als Werkzeugwaffe für die Verfolgung des Krebses ist die biotechnisch produzierte Maus zugleich eine Metapher und eine Technologie," - eine Metapher über die Ausbildung zukünftiger Subjekte, wie Haraway im Vergleich mit einer weiteren Anzeige aus dem Jahre 1983 herausdestilliert. Die zweite Anzeige zeigt ein weisses Kaninchen von hinten, das sich über eine Tastatur beugt und ein zweites im Bildschirm beäugt, das, so Haraway, nicht dessen Spiegelbild sei, sondern ein virtuelles Gegenüber, das völlig neue Arten der Reproduktion vorschlägt. "Einige Worte über Reproduktion von einem auf diesem Gebiet führenden Unternehmen", steht als Slogan einer Softwarefirma darüber. Hören wir Haraways Interpretation: "Das Kaninchen behauptet, dass die wirklich rationalen Akteure sich selbst in einer virtuellen Welt vervielfältigen werden, in der die besten Spieler nicht der Gattung Mensch/Mann angehören, obleich diese vielleicht fortexistiert wie der Pferdewagen, der seine Form dem Eisenbahnwagen verlieh, oder die Schreibmaschine, die ihre illusionäre Form dem PC vermachte [...]. Wie OnceMouseª sind die beiden Kaninchen in der Anzeige von Logic General Cyborgs - Zusammensetzungen aus dem Organischen, Technischen, Mythischen, Textuellen und Politischen - und sie rufen, interpellieren uns in eine/r Welt, in der wir als Subjekte neu herausgebildet werden." Haraway liest die beiden Anzeigen als uns verfolgende, bedrängende Entwürfe für zukünftige Lebensformen. Und sie plädiert dafür, dass wir gegen diese in kommerziellen Interessen sprechenden Menschenplanungen eigene Geschichten erfinden müssten, solche, die uns im Gegensatz zu den beiden in den Anzeigen erzählten eine Wahl und Handlungsmöglichkeiten liessen. Sie stellt die Frage: "Wenn technologische Produkte kulturelle Akteure sind, und "wir", wen immer diese problematische Einladung, einen gemeinsamen Raum zu bewohnen auch einschliessen mag, auf einer tieferen Ebene technologische Produkte sind, als wir es bisher begriffen haben, welche Art kulturellen Handelns wird dann die Evolution der OncoMouseª in den Menschenª verhindern?"
In diesem Text bekommt also der/die Cyborg eine neue Dimension: Es sind die im Namen der "Evolution" geplanten Wesen, die den Menschen und andere Lebewesen im Dienste eines kapitalistischen Interesses zukunftsfähig machen sollen. Als Gegen- und Widerstandsmodell zu den ökonomischen Interessen sieht sie das verantwortungsvolle "kulturelle Handeln", die "anspruchslose Zeugenschaft", das Benutzen des Netzes, um, wie sie am Ende von "Modest Witness" sagt, die "eigenen Botschaften in den Äther zu schicken". Die Cyborgs in den neueren Texten sind im Gegensatz zu den Menschen- und Monster-Cyborgs des "Cyborg Manifesto kleinere, aber nicht weniger wirksame relationale biotechnologische Entitäten geworden, die der Herstellung von Leben dienen: Chip, Gen, Same, Bombe, Abstammung, Ökosystem, Datenbank, Fötus, Rasse und Gehirn. Dadurch, dass sie diese aktuellen Knotenpunkte versammelt, bezeichnet sie einiges konkreter den gegenwärtigen Kurs in der "New World Order Inc.", jenseits ihrer früheren ziemlich dekontextualisierten "Heilsvorstellungen" hybrider Körper (ich bin trotz allem versucht, ihr diesen Vorwurf zu machen). Diese primären Cyborg-Figuren nun machen schonungslos klar, dass es in der Gegenwart und nahen Zukunft die Sphären der Biologie, Reproduktionstechnologie und Ökonomie unter dem Zepter der "Informatik der Herrschaft" sind, die bestimmen wollen, was Körper sind - nämlich zusammensetzbare Biobestandteile - und wie diese auszusehen haben. Angesichts dieser klaren Kapitaleinsätze und Fronten ist jeglicher dämonische Romantizismus, faszinierte Horror oder euphorische Technophilie bezüglich neuer Körper, wie sie insbesondere von der Kunst inszeniert werden, zu kurzgegriffen. Die Fragen müssen anders lauten. Haraway formuliert sie in ihrem Interview so: "Hier sind also Fragen der Souveränität betroffen. Auf wessen Wissen wird es ankommen? Werden wir als Mitarbeiter/innen angesehen oder nur als Rohmaterial? Angenommen, es gibt im Regenwald Stoffe von pharmazeutischem Interesse und man arbeitet mit einer/m ortsansässigen/m Heiler/in, die/der die örtliche Pflanzenwelt kennt. Was passiert, wenn die Gemeinde, aus der die Person kommt, nicht nach individuellen Grundsätzen lebt? Und was ist mit dem Land, in dem diese Gruppe von Menschen lebt? Was, wenn sie eine untergeordnete Minderheit bildet? Wenn es eine staatliche Vereinbarung der nationalen Regierung von Brasilien oder Costa Rica gibt, kann ein grosser Pharmakonzern im Interesse jener Gruppe von Menschen agieren, die tatsächlich das betreffende Wissen und Material haben, oder aber auch nicht. Wie also werden sie geschützt werden? Wollen sie überhaupt in dieses System einbezogen werden oder nicht? OncoMouseª ist lediglich eine verdichtete Figur dieser Matrix - eine Figur des dichten Gewebes aus Beziehungen und Geschichten, die sich in der Technowissenschaft, so wie sie am Ende des 20. Jahrhunderts praktiziert wird, finden."
Haraways Fragen machen deutlich, dass es beim Mythos "Körper" letztlich um ganz konkrete ökonomische, globale und vor allem machtvolle Fragestellungen geht: Wer welche Interessen vertritt, wer wie an den veranschlagten Sachen verdient und wie widerständige Allianzen eingegangen werden können. Ihre Theorie deutet damit Möglichkeiten an, wie man sich angstfrei und offen mit aktuellen Themen wie der Gentechnologie oder dem Klonen von Menschen auseinandersetzen kann. Vor allem dürfen wir niemals aufhören, Konkretes wissen und intervenieren zu wollen. Wir alle, so verschieden wir sind, sind die Adressat/innen ihrer e-mail. Denn um die wesentlichen Fragen stellen zu können, braucht man nicht Biotechnologe/in zu sein, sondern Mensch bleiben oder werden zu wollen in einem jeweils lebbaren Umfeld.

Literatur

Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Herausgegeben von Carmen Hammer und Immanuel Stiess. Frankfurt/New York 1995
Dies.: Monströse Versprechen. Coyote Geschichten zu Feminismus und Technowissenschaft. Hamburg/Berlin 1995
Dies.: Modest_Witness@Second_Millenium.FemaleMan©_Meets_OncoMouseª". Feminism and Technoscience. New York/London 1997
Dies. in: "Flesh Faktor. Informationsmaschine Mensch". Ars Electronica Festival 1997. Wien/New York 1997
Eine veränderte Fassung von diesem Text erschien unter dem Titel "Körper aus dem Baukasten", in du, Heft Nr.4, April 1998.

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