Geschlecht im Netz - Face2Face. Körper, Identität und Gemeinschaft im Cyberspace
(Berlin, 1. 7.1998/ Graz 6.-11.7.)
Besprechung
Yvonne Volkart
Über Veranstaltungen zu schreiben, die bereits einige Wochen zurückliegen, hat etwas
Beunruhigendes. Weiß man doch schon im Voraus, dass das, was in Erinnerung blieb, nur eine
reduzierte und entstellte Form des Geschehenen sein kann. Trotzdem möchte ich über die beiden
Veranstaltungen "Geschlecht im Netz" in der mikro.lounge in Berlin vom 1. Juli und von "Face2Face. Körper, Identität und
Gemeinschaft im Cyberspace", einem vom 6.-11. Juli daürnden "Symposion, Workshops, Austellung, Performances und Events
im Forum Stadtpark Graz berichten, da solche von Fraün organisierten Netzdiskurse, gerade auch für den
deutschsprachigen Raum, wo ein konstruktiv-kritischer Netz- und Neü Technologiendiskurs bis anhin nur schwer Fuss
fassen konnte, unendlich wichtig sind.
Kein Wunder erschienen zahlreiche BesucherInnen zu dem von Vali Djordjevic und Ellen Nonnenmacher organisierten und
moderierten Gespräch in der Mikro.Lounge, dem schönen Ort der durch unterschiedliche Interessen lose verbundenen Gruppe
Mikro.eV. Evelyn Teutsch stellte das von ihr initiierte erste deutschsprachige MOO "Foogue" vor, ein textbasiertes
Rollenspiel in einer Multi-User-Umgebung. Sie sprach über die verschiedenen Geschlechter, die frei, dh. jenseit der
traditionellen Geschlechterdichotomie wählbar seien und zeigte online verkabelt, Beispiele dieser Identitätsspiele.
Für MOO- und MUDs-KennerInnen war das nichts Neüs, AnfängerInnen jedoch erstarrten angesichts der offensichtlichen
Geschlechtsstereotype. Teutschs in Berlin aus Zeit- und gleichzeitig in den on-line-talk-involvierten Gründen
unkritisch-deskriptiver Vortrag erfuhr in Graz eine deutliche Differenzierung, dessen Stärke darin lag, aus der
Perspektive der Beteiligung zu sprechen. Zusammen mit Birgit Huber stellte Teutsch klar, dass trotz den Verheissungen
und vielbenutzen Möglichkeiten des freiwählbaren Geschlechts im Netz die Kategorie "Geschlecht" nicht nur die
dominante Markierung bleibt, sondern dass die Kategorie "weiblich" nachgerade eine diskriminierte Kategorie darstellt.
Die beiden zeigten auf, dass bei sensibilisierten Usern Geschlechtsrollenwechsel durchaus Auswirkungen auf das
Realleben haben kann. Mögliche Identiätsverschiebungen würden allerdings stets dadurch beherrscht werden wollen,
als die MOO- und MUD-User doch immer wieder eine strikte Trennung zwischen virtual reality und real life zögen,
mithin stets eine "wahre" hinter der gespielten Identität aufzudecken trachten. Dass dieses "genderswapping" und das
Switchen zwischen virtual reality und real life, ganz im Sinn des performativen Gedankens, im Realleben mehr und
anderes bewirken wird, als von den Usern intendiert ist, bleibt eigentlich das Spannendste daran.
Katja Diefenbach und Sabeth Buchmann dekonstruierten in ihrem ausführlichen Statement zwei Heroinnen des
Cyberfeminismus - Donna Haraway und Sadie Plant. Mit Bezugnahme auf Haraways "Manifesto for Cyborgs" warfen sie dem
von ihr entwickelten zentralen, ziemlich ambivalenten, weil sowohl für weibliche Allianzen als auch multinationale
Konzerne gleichermassen geltenden Netzwerkbegriff "Informatik der Herrschaft" vor, zu dekontextualisiert, unspezifisch
und damit zu wenig politisch zu sein. Obwohl Buchmann und Diefenbach Haraways schwammig gewordenen Theorieansatz
zu Recht angriffen, verhielten sie sich selbst auch ziemlich dekontextualisierend. Mit keinem Wort erwähnten sie,
dass Haraways Text sicher nicht nur zufällig im gleichen Jahr wie William Gibsons Cyberpunk-Fiktion "Neuromancer",
also vor 14 Jahren geschrieben war, und dass Haraway mit ihrem 1997 erschienenen Buch
"Modest_Witness@Second_Millenium.FemaleMan©_Meets_OncoMouseª" auf 300 Seiten den Begriff der Informatik der Herrschaft
bezeuglich seiner zeitgenössischen Gegebenheiten hin ausdifferenziert. Auch Sadie Plants umstrittene
Fraün-Netzwerkphantasien fanden keine Gnade. Ihre fiktive Rekonstruktion von Ada Lovelace als erste Informatikerin in
ihrem 1997 erschienen Buch "zeros + ones" wurde, ebenfalls nicht zu Unrecht, als eindimensionale Geschichtsklitterung
abgelehnt. An dem Punkt wäre es, gerade in Verbindung mit Haraways nicht angesprochenen "Cyborg-Mythos" interessant
gewesen zu diskutieren, warum so viele Cyberfeministinnen, wie schon ehemals Feministinnen, positive Mythen und starke
Fraünfiguren entwerfen/brauchen, leider fehlte die Zeit dazu. Die etwas destruktive Richtung, die das Gespräch im
Begriff war einzunehmen, schliesslich sollte es ja um mögliche Netzwerke gehen, lenkte Cornelia Sollfrank engagiert
dadurch um, dass sie mit ihrem Vortrag "Die Wahrheit über Cyberfeminismus" vehement für einen politisch-künstlerischen
Einsatz des Begriffs "Cyberfeminismus" eintrat. Da in ihren Augen der Feminismus einerseits zu ideologisch, andererseits
zu sehr aufgespalten ist in eine akademische und systemerhaltende soziale Ausprägung, sieht sie im Cyberfeminismus,
oder besser in den Cyberfeminismen, noch offene und selbst modellierbare Möglichkeiten paradoxen Handelns, welches
die von ihr, sicherlich in Anlehnung an Rosi Braidottis "Cyber Feminism with a Difference" präferierte Option
darstellt. Beispiele paradoxer Netzwerk-Allianzen beschreibt sie am Beispiel des Künstlerinnennetzwerkes
'Old Boys Network' , zu der neben ihr unter anderem auch Nonnenmacher und Djordjevic
gehören und das z.B. das erste Cyberfeministinnentreffen anlässlich der Documenta X organisierte; mögliche paradoxe KünstlerInnenstrategien
erläuterte sie eingehender beim Face2Face-Meeting in Graz am Beispiel ihrer Arbeit mit den -Innen, einer mittlerweile
aufgelösten, und teilweise in das Old Boys Network übergegangene Künstlerinnengruppe und ihrer eigenen. Auch ihr
Plädoyer für eine künstlerische, politischen, cyberfeministischen und paradoxen Strategie wäre es wert gewesen,
ausführlicher diskutiert zu werden. In Berlin stellte Diana McCarty eine weitere Form feministischer Vernetzung vor,
die von ihr und Kathy Rä Huffman initiierte und moderierte only-women-mailinglist "faces", eine mittlerweile von
über 140 Fraün abonnierte Liste. McCarty schränkte dabei etwas unreflektiert ein, dass "faces" eher vom
Vernetzungsgedanken denn von den Inhalten her wichtig sei, werden doch zum Posten zentraler Texte auch von den
Faces-Fraün grössere mailinglists, zum Beispiel die männerlastige nettime-list benutzt.
Unschwer zu erraten, worauf das von Kathy Rae Huffman und der Grazer Künstlerin Eva Ursprung
konzipierte und organisierte real-life-Meeting "Face2Face" im Forum Stadtpark anspielte. Das dreitätige Symposion
begann im kleinen Rahmen mit den Vorträgen der St. Petersburger Cyberfeministinnen Irena Aktufanova und Alla
Mitrofanova. Aktuganova zeigte am Beispiel der kulturellen und politischen Geschichte Russlands auf, dass dort
Feminismus eine ganz andere Bedeutung hat als im Westen. In Russland hatte die Frau sowohl von der orthodoxen
Religion her als auch im kommunistischen System eine wichtige Stellung und insofern war Feminismus bis zur Öffnung
kein Begriff, mittlerweile sei ee ein beliebig einsetzbares Modewort geworden. Aktuganova setzt auf Cyberfeminismus,
und zwar deshalb, als er symbolisch an eine spezifische russische Periode, die Tauwetterperiode, anschliesst, und mit
Hoffnungen nach Zugang zu kulturellen Vernetzungen besetzt ist, weil er etwas spezifisch Russisches und gleichzeitig
etwas in Russland Nicht-Ernstgenommenes repräsentiere. Für sie und Alla Mitrofanova geht es in der russischen
Auslegung von Cyberfeminismus, durch ihre spezifische Geschichte bedingt und im Gegensatz zu westlichen Auffassungen,
vor allem um Verkörperungen und nicht um Entkörperungen. Diesen Gedanken führt Mitrofanova in ihrem Statement weiter,
indem sie mit Bezug auf die abendländische Philosophie und deren Fixierung auf ein transzendentales Subjekt die
Unrepräsentiertheit von Schwangerschaft als ontologische Erfahrung bemängelt. Sie plädiert, an Deleuze/Guattari
anschliessend, für ein monadisches, rekombinantes, sexuiertes Subjekt, das sich qua spezifischer Körpererfahrungen
stets neu konstituiert. Mitrofanovas nicht einfach nachvollziehbare Neugewichtung von Schwangerschaft und Geburt als
leibliche Erfahrungen scheint den Anspruch zu haben, den weiblichen Körper als akzidentielle Monade im Rahmen
einer existenzphilosophischen Fragestellung zu signifizieren. Gefehlt hat in den spannenden Vorträgen der beiden
Russinnen der Bezug zu westlichen feministischen Theorien, wie etwa Elisabeth Grosz, die ebenfalls mit Deleuze/Guattarie
argumentierend, für leibliche Erfahrungskonzepte jenseits essentialistischer Identitätskonzepte plädiert. Ihre
Abarbeitung an der abendländisch-patriarchalen Existenzphilosophie wirkte so nicht nur etwas einseitig, sondern
liess auch offen, inwieweit sie die russische Version eines differenzfeministischen Ansatzes lieferte.
Gut war, dass nebst den theoretischen Vorträgen auch Projektpräsentationen waren, etwa Margarethe Jahrmanns
SUperFEMper4MANce, Zana Poliakovs
'Cyberkitchen' oder Katy Deepwells
neüs feministisches Printmagazin n.paradoxa, von dem es seit zwei Jahren auch eine on-line-Version gibt. Zu erwähnen bleiben noch die Workshops, wo etwa Vesna Manojlovic aus Belgrad und
weitere Frauen aus Ljubliana, Berlin, Graz etc. Internetradio machten. Dann die Ausstellungen, zB. Anja Westerfrölkes
und Betty Spackmans "Reading Room", eine Sammlung von Geschichten auf CD-ROM, Website und Buch, in denen
oral-history-mässig wahre und fiktive Geschichten zu einer Gegend in Kanada, von den Verwandten Spackmans
erzählt, gemischt werden. Ihr Hybrid aus Literatur, neü Medien und Kunst erlaubt eine fragmentarische und
diskontinuierliche, mithin erinnernde und symbolische Herangehensweise an historische und aktülle Tatsachen wie
Landnahme und Beseztung eines neün Raums.
Obwohl sich der Kreis in Graz während den drei Tagen erweiterte, blieb das Ganze eine kleinere, damit aber auch
sehr herzliche und offene Runde, in der intensiv diskutiert wurde und neue Netze geknüpft wurden. Der Vorwurf, der
in Anschluss an die Grazer-Tage auf "faces" geäussert wurde, dass diese Liste und ihre Symposien eurozentristisch
seien, müsste allerdings, obwohl ihm gekontert wurde, gerade auch in bezug auf Begriffe und Strategien wie
"Cyberfeminismus" anbetrifft, in Zukunft verstärkt mitgedacht werden.